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Dissertation
Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht

Analyse dysfunktionaler Effekte bei der Durchsetzung von Immaterialgüterrechten – Eine Gesamtbetrachtung

Immaterialgüterrechte, insbesondere Patente, sind subjektive Rechte, die zu einem bestimmten Zweck, d.h zur Erfüllung einer bestimmten Funktion gewährt werden. Diese Funktion ist ökonomisch betrachtet die Reduktion von Marktversagen, das durch unzureichende Anreize für Innovation und Kreativität auftreten kann. Die Ausgestaltung des Schutzes in diesem Bereich muss sich daher an der Funktion orientieren, um dysfunktionale Effekte durch Unterschutz oder Überschutz zu verhindern. Dies muss die Ebene der Rechtsdurchsetzung einschließen. Die Arbeit untersucht die verschiedenen Aspekte der Rechtsdurchsetzung im Gesamtkontext.

Rechtspositionen stehen und fallen mit der Möglichkeit ihrer Durchsetzung. Dabei ist die Rechtsdurchsetzung einerseits ein Fokalpunkt der Probleme in einem Rechtssystem, andererseits kann sie Ansatzpunkte für Lösungen bieten. Das gegenwärtige System der Rechtsdurchsetzung, insbesondere im Patentrecht, weist Charakteristika auf, die einen funktionsgeleiteten Ausgleich der Interessen der Rechtsinhaber und anderer Marktteilnehmer zumindest erschweren, in Teilen sogar unmöglich machen. Will man hier Abhilfe schaffen, so müssen die einzelnen Aspekte der Rechtsdurchsetzung insgesamt betrachtet werden, da der Versuch isolierter Problemlösung den Blick auf die eigentlichen Probleme verstellt. In der rechtswissenschaftlichen Literatur erschienen in den letzten Jahren zahlreiche Publikationen, die sich mit Einzelaspekten der Rechtsdurchsetzung und deren Problemen beschäftigten. Schwerpunkte lagen hier auf der Flexibilisierung des Unterlassungsanspruchs im Patentrecht, dem patentrechtlichen Trennungsprinzip, dem Missbrauch des Instruments der Abmahnung im Urheberrecht und der Grenzbeschlagnahme von rechtsverletzenden Waren im Transit. Über alle Schutzrechte hinweg stellt die Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes ein nach wie vor hochaktuelles Thema dar. Diese Arbeit verknüpft bisherige Ansätze in der Lehre in zweierlei Hinsicht neu. Zum einen wird aufgezeigt, wie die einzelnen Teile der Durchsetzungssysteme zusammenhängen, um Lösungen an der richtigen Stelle zu implementieren. Zum anderen wird aus der Funktion der Schutzrechte eine Funktion der Rechtsdurchsetzung speziell im Bereich des Immaterialgüterrechts entwickelt. Auf dieser Funktion der Rechtsdurchsetzung aufbauend wird sodann für die einzelnen Maßnahmen der Rechtsdurchsetzung eine spezifische Funktion abgeleitet, die als Maßstab für eine funktionale Rechtsdurchsetzung herangezogen wird.

Die Arbeit beginnt mit einer Darstellung des völkerrechtlichen Rechtsrahmens in Form des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) sowie des EU-Rechts in Form der Durchsetzungs-Richtlinie. Ergebnis dieser Analyse ist, dass sowohl Völkerrecht als auch EU-Recht nicht nur ausreichend flexibel sind, um Durchsetzungsinstrumente funktionsorientiert auszugestalten, um zu einem Interessenausgleich zu gelangen, sondern eine solche Ausgestaltung des nationalen Rechts vielmehr fordern. Die Arbeit wendet sich sodann der Analyse der Elemente der Rechtsdurchsetzung in Deutschland zu. Hierzu werden Beispiele aus dem Durchsetzungsverfahren (die Trennung von Verletzungsfrage und Bestandsfrage sowie der einstweilige Rechtsschutz) und spezifische Ansprüche (Unterlassung und Schadensersatz) herangezogen.

Für alle Immaterialgüterrechte und deren Schutz entscheidend ist der einstweilige Rechtsschutz, da Verletzungen oftmals kaum revidiert und nur teilweise kompensiert werden können. Zugleich impliziert gerade der einstweilige Rechtsschutz das Risiko von Fehlentscheidungen, die beim vorgeblichen Verletzer gravierende negative Konsequenzen mit sich bringen können. Eine systemische Gefahr besteht vor allem bei ex parte-Verfahren, in denen den Interessen des mutmaßlichen Verletzers nicht genug Beachtung geschenkt wird. Die Arbeit zieht die zum Wettbewerbs- und Markenrecht ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts heran und überträgt sie auf die anderen Schutzrechte. So wird aufgezeigt, wie eine interessengeleitete Nutzung des Instruments des einstweiligen Rechtsschutzes gelingen kann. Als zweiter Aspekt des einstweiligen Rechtsschutzes analysiert die Arbeit den Schadensersatzanspruch des mutmaßlichen Verletzers für den Fall, dass sich der Erlass der einstweiligen Verfügung im Nachhinein als unzutreffend erweist. Hier wird die Rechtsprechung des EuGH einer kritischen Betrachtung unterzogen und herausgearbeitet, dass durch die Interessenabwägung die in Deutschland bislang gängige verschuldensunabhängige Haftung gerechtfertigt ist.

Im Hinblick auf Verfahrensaspekte analysiert die Arbeit zudem das in Deutschland bestehende patentrechtliche Trennungsprinzip. Dabei werden einerseits die bestehenden Vorteile des Trennungsprinzips dargestellt, andererseits wird das systemische Versagen in der praktischen Funktionsweise des Systems herausgearbeitet. Die Arbeit zeigt auch auf, dass die letzten beiden Reformen die Defizite nicht beheben können. Im Hinblick auf die Kombination des Trennungsprinzips mit dem einstweiligen Rechtsschutz wird zudem gezeigt, dass das Trennungsprinzip zwingend aufgebrochen werden muss, um im Eilrechtsschutz den Interessen von Rechtsinhabern und mutmaßlichen Verletzern überhaupt gerecht werden zu können.

Bezogen auf die zur Verfügung stehenden Ansprüche, mit deren Hilfe Rechtsinhaber ihre Positionen durchsetzen können, wird der Fokus auf die Unterlassung und den Schadensersatzanspruch gelegt. Beide werden nicht nur isoliert auf ihre funktionsorientierte Ausgestaltung untersucht, sondern darüber hinaus auch im Wechselspiel miteinander. Hierzu wird auch die jüngst erfolgte Reform des Unterlassungsanspruchs im Bereich des Patentrechts kritisch betrachtet. Da die kodifizierte Flexibilisierung nach dem Willen des Gesetzgebers lediglich klarstellende Funktion haben soll, muss sie auch für die übrigen Immaterialgüterrechte gelten. Es wird auch herausgearbeitet, weshalb die Flexibilisierung des Unterlassungsanspruchs zwar eine Reihe von dysfunktionalen Effekten ausgleichen kann, jedoch systemische Schwächen, die etwa durch das Trennungsprinzip hervorgerufen werden, hierdurch nicht nachhaltig aufgefangen werden können.

Neben den Ergebnissen zu den Teilaspekten der Rechtsdurchsetzung findet sich am Ende der Arbeit das Plädoyer für eine gesamtheitliche Betrachtung der Rechtsdurchsetzung. Dazu gehört die Forderung, diese nicht auf die Durchsetzung subjektiver Rechte zu reduzieren, sondern sie im Hinblick auf die Verwirklichung der Zielsetzungen der Immaterialgüterrechte auszugestalten. So kann es gelingen, ein nachhaltig resilientes Schutzinstrumentarium zur Verfügung zu stellen, das sich an veränderte Verhaltensweisen der Marktteilnehmer anpassen lässt.

Personen

Doktorand/in

Peter R. Slowinski

Doktorvater/-mutter

Reto M. Hilty

Forschungsschwerpunkte

II.5 Rechtsdurchsetzung und Streitbeilegung