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Dissertation
Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht

Aktionärsstruktur und Wettbewerb: Gefährden horizontal-diversifizierte Großaktionäre durch ihr Netzwerk aus Minderheitsbeteiligungen den Wettbewerb?

Die Bedeutung horizontal-diversifizierter Großaktionäre („HGA“) in der Aktionärsstruktur von börsennotierten Unternehmen nimmt stetig zu. Meist handelt es sich um institutionelle Investoren wie Vermögensverwalter mit ihren Investmentfonds, deren Beteiligungen weitläufige indirekte Unternehmensverflechtungen („Common Ownership“) innerhalb vieler Branchen entstehen lassen. Aufgrund des Ausmaßes des Marktstrukturphänomens stellt sich die Frage einer Verschärfung des Kartellrechts oder einer Regulierung der Vermögensverwaltungsbranche. Diese Arbeit untersucht die bisher entwickelte Schadenstheorie zu unilateralen Effekten durch Common Ownership und zeigt, dass diese auf zwei Grundannahmen beruht, die weder die rechtlichen Rahmenbedingungen noch die tatsächlichen Beteiligungsstrukturen vieler HGA ausreichend berücksichtigen.

Indirekte Horizontalverflechtungen entstehen, wenn mindestens zwei Unternehmen, die in einem horizontalen Wettbewerbsverhältnis stehen, einen gemeinsamen Anteilseigner haben. In Rechts- und Wirtschaftswissenschaft wird diskutiert, ob solche Verflechtungen über Minderheitsbeteiligungen zu wettbewerbsmindernden Effekten führen, die das europäische und deutsche Kartellrecht in seiner jetzigen Form nicht erfassen kann. Eine zentrale Bedeutung bei der Beantwortung der Frage nimmt die wettbewerbliche Schadenstheorie ein. Das Detailverständnis zu den Wirkmechanismen und Zusammenhängen ist jedoch noch unausgereift. Daran knüpft diese Arbeit mit ihrer Forschungsfrage an. Sie soll beantworten, ob sich unter Berücksichtigung der rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen eine wettbewerbliche Schadenstheorie begründen lässt, die eine Verschärfung des Kartellrechts oder eine Regulierung der Vermögensverwaltungsbranche rechtfertigen würde. Dafür analysiert die Arbeit die für die Verflechtungen verantwortlichen Aktionäre, ihr Geschäftsmodell sowie ihre rechtliche Struktur und Handlungsbeschränkungen. Sie setzt sich das Ziel, die Auswirkungen der Aktionärsstruktur auf das Wettbewerbsverhalten aus einer rechtlichen Perspektive zu beurteilen.

Im Rahmen der Erläuterung der bisher entwickelten wettbewerblichen Schadenstheorie zu unilateralen Effekten durch Common Ownership wird herausgearbeitet, dass diese auf zwei Grundannahmen beruht, deren Überprüfung den Hauptteil der Arbeit bildet. Die erste Annahme geht von Einflussmöglichkeiten der HGA auf das Wettbewerbsverhalten ihrer Portfoliounternehmen aus. Diese Möglichkeiten werden anhand des geltenden Rechts (insbesondere des deutschen Aktien- und Kapitalmarktrechts sowie des europäischen Kartellrechts) und der wissenschaftlichen Literatur dargestellt und bewertet. Die zweite Annahme unterstellt HGA ein Gesamtbrancheninteresse. Die Überprüfung erfolgt zweistufig mit einem Fokus auf Vermögensverwaltern. Zunächst wird die Frage des Gesamtbrancheninteresses in der Theorie untersucht. Dabei liegt ein besonderer Schwerpunkt auf Investmentfonds, deren Treuhandeigenschaft sowie möglichen Interessenkonflikten. Sodann wird die Theorie einer empirischen Überprüfung an einem Praxisbeispiel unterzogen. Dazu werden ETF-Portfolios eines großen Vermögensverwalters mittels einer empirisch-quantitativen Analyse mit deskriptiver Statistik auf Branchenabdeckungen und Interessenkonflikte ausgewertet.

Die Arbeit kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Schadenstheorie auf die meisten in der Praxis zu beobachtenden Verflechtungen nicht oder nur sehr eingeschränkt anwenden lässt. Beiden Grundannahmen stehen begründete Zweifel entgegen. Es sind zwar direkte und indirekte Möglichkeiten der HGA denkbar, Einfluss auf das Management der Portfoliounternehmen zu nehmen. Jedoch eignen sich diese in der Praxis kaum zu einer gezielten Einwirkung auf das operative Geschäft. Darüber hinaus gibt es umfangreiche rechtliche Grenzen durch das Kartell-, das Gesellschafts- und das Kapitalmarktrecht. Bei Beachtung dieser Vorgaben durch die HGA bleibt allenfalls Raum für eine unpräzise und indirekte Einflussnahme über das Vorstandsvergütungssystem.

Ob ein HGA ein Gesamtbrancheninteresse hat, ist eine Frage des Einzelfalls. Objektiv betrachtet dürften Vermögensverwalter als mit Abstand wichtigste Gruppe der HGA dieses Interesse nicht haben. Als Treuhänder verwalten sie Kapital im Auftrag ihrer Anleger über eine Vielzahl verschiedener Fonds. Jeder Fonds verfolgt andere Anlageschwerpunkte und enthält ein anderes Portfolio. Daraus ergeben sich in der Theorie Interessenkonflikte zwischen den einzelnen Fonds und ihren Anlegern, die ein einheitliches Interesse ausschließen. Die Vorgabe zur Wahrung der Anlegerinteressen ist rechtlich abgesichert. Der Vermögensverwalter darf daher nicht nach (s)einem übergeordneten Interesse handeln.

Die empirische Auswertung der verschiedenen ETF-Portfolios des untersuchten Vermögensverwalters beweist, dass Interessenkonflikte zwischen den Fonds in der Praxis bestehen. Die Branchenabdeckung liegt für die meisten Fonds mit ein bis zwei Unternehmen deutlich unter der des Vermögensverwalters als Einheit. Zudem unterscheiden sich die Beteiligungen der einzelnen Portfolios, wodurch Interessenkonflikte entstehen. Für den untersuchten Vermögensverwalter lässt sich demnach kein Gesamtbrancheninteresse nachweisen. Die Ergebnisse rechtfertigen begründete Zweifel am Gesamtbrancheninteresse der großen Vermögensverwalter im Allgemeinen. Die Aufteilung in einzelne Fonds und die Abdeckung einer Vielzahl von Anlageschwerpunkten führt dazu, dass Interessenkonflikte zwischen den Fonds einem Gesamtbrancheninteresse entgegenstehen. Auch die vertikale Diversifikation durch Beteiligungen in vor- und nachgelagerten Branchen spricht gegen ein Gesamtbrancheninteresse.

Für die Schadenstheorie folgt daraus, dass sie nur für den seltenen Fall von Beteiligungsunternehmen mit einem relevanten Einfluss auf das Management unproblematisch angenommen werden kann. Für eine Anwendung auf Vermögensverwalter als ihren meistdiskutierten Anwendungsfall fehlt es ihr an Plausibilität. Die teilweise in ökonomischen Studien festgestellten negativen Effekte bei indirekten Horizontalverflechtungen dürften vielmehr durch einen passiven Mechanismus hervorgerufen werden. Es erscheint denkbar, dass nicht eine aktive Einflussnahme, sondern gerade eine Passivität der HGA negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen Portfoliounternehmen haben könnte. Wenn HGA vom Management keine expansive Wettbewerbspolitik einfordern und ihre Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten nicht wahrnehmen, könnte dies zu einer wirtschaftlichen Ineffizienz bei den Unternehmen führen.

Nach den Erkenntnissen dieser Arbeit ist zum aktuellen Zeitpunkt eine Verschärfung des Kartellrechts oder eine Regulierung zur Begrenzung indirekter Horizontalverflechtungen nicht angezeigt. Die Argumentation zu den Grundannahmen der Schadenstheorie setzt jedoch ein rechtmäßiges Verhalten der HGA und ihrer Portfoliounternehmen voraus. Von fundamentaler Bedeutung ist daher, dass die Wettbewerbs- und Finanzaufsichtsbehörden sich der potenziellen Gefahr bewusst sind und das bestehende Recht in enger Zusammenarbeit durchsetzen.

Personen

Doktorand/in

Jonas Weller

Betreuung

Dr. Dr. Mark-Oliver Mackenrodt, LL.M. (NYU),
Dr. Francisco Beneke Ávila

Doktorvater/-mutter

Prof. Dr. Rupprecht Podszun (Heinrich Heine University Düsseldorf)

Forschungsschwerpunkte

I.5 Methodenfragen