In einer Marktordnung, die auf Wettbewerbsfreiheit basiert, bedarf jeder Eingriff in den Wettbewerb einer Rechtfertigung. Ausschließlichkeitsschutz in Form von Patenten ist dort geboten, wo und soweit der Markt nicht in der Lage ist, die nötigen Anreize für Innovation aufrechtzuerhalten. Um dem gerecht zu werden, verfügt das Patentrecht über ein System abgestufter und aufeinander abgestimmter Mechanismen, anhand derer die Grenzen zwischen dem Patentschutz und der Wettbewerbsfreiheit gezeichnet werden. Gewisse Gegenstände können von vornherein vom Patentschutz ausgeschlossen werden; Erfindungen müssen bestimmte Anforderungen erfüllen, um Gegenstand eines Patents sein zu können; die mit dem Patent einhergehenden Rechte können begrenzt werden (etwa durch Erschöpfung oder Verwirkung); bestimmte Benutzungshandlungen können vom Schutzbereich des Patents ausgenommen werden; Dritten kann das Recht eingeräumt werden, ohne Zustimmung des Rechtsinhabers einen geschützten Gegenstand zu benutzen; und schließlich kann die Durchsetzung der mit dem Patent einhergehenden Rechte unter bestimmten Umständen versagt werden. Hinzu kommen Maßnahmen gegen den Missbrauch oder die wettbewerbsbeschränkende Ausübung von Schutzrechten.
Sofern diese Mechanismen nicht optimal ausgestaltet und aufeinander abgestimmt sind, kann es zu dysfunktionalen Auswirkungen des Patentschutzes kommen. So wichtig die von Patenten ausgehende Rechtssicherheit sein mag, um Investitions- und Innovationsanreize abzusichern, so gefährlich werden die gleichen Rechte, wenn ihre Wirkung ausufert und damit die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs oder andere Allgemeininteressen beeinträchtigt. Dies ist keineswegs nur ein Problem von Entwicklungs- und Schwellenländern, sondern eine globale Herausforderung. Allerdings hängt die richtige Balance vom Entwicklungsstand einer Volkswirtschaft ab, womit auch mögliche dysfunktionale Effekte variieren.
Besondere Verwerfungen – gerade in hochentwickelten Wirtschaftsordnungen – lassen sich derzeit im Bereich der Informationstechnologie beobachten, wo sich die schiere Anzahl von Patenten und damit einhergehenden Ausschließlichkeitsrechten immer häufiger als übermäßige Beschränkung der Handlungs- und Entwicklungsfreiheit von Marktteilnehmern und somit als Hindernis für Innovation erweist. Der Schutz von Innovation gegen Imitation tritt damit gegenüber dem strategischen Wert des Patents als Druck- und Verhandlungsmittel häufig in den Hintergrund (vgl. B I 1.1). Gegenstand anhaltender Kritik sind auch die Strategien der Pharmaindustrie, den Schutz profi tabler Arzneimittel in die Länge zu ziehen (Evergreening), um den Markteintritt von Generika zu verzögern (vgl. B I 1.1).
Hinzu kam in der jüngeren Vergangenheit die Ausweitung des Patentschutzes auf neue Bereiche und Gegenstände (etwa Gensequenzen oder Computerprogramme, in gewissen Rechtsordnungen auch Geschäftsmethoden), die sich in das althergebrachte Schutzsystem nur zum Teil integrieren lassen, den dem Patentrecht zugrunde liegenden Interessenausgleich hingegen umso mehr gefährden.
Die drohende Schiefl age des Patentsystems stellt Gesetzgeber und Gerichte vor neue Herausforderungen. Gleichzeitig werden deren Handlungsspielräume aber durch die zunehmende Dichte und die Verfl echtungen des internationalen Rechts eingeschränkt. Bereits das Inkrafttreten des TRIPS-Übereinkommens im Jahr 1994 bedeutete für viele Vertragsstaaten der W elthandelsorganisation – insbesondere für Entwicklungs- und Schwellenländer – eine weitreichende Beschränkung ihrer Regelungsautonomie. Seitdem ist der Gestaltungsspielraum einzelner Staaten durch Freihandels- und Partnerschaftsabkommen weiter eingeschränkt worden (vgl. B II 1.1). Bedenklich ist diese jüngere Entwicklung auch aufgrund ihrer rechtspolitischen Tendenz. Mit bilateralen Abkommen bezwecken verhandlungsstarke Wirtschaftsräume in der Regel eine Verstärkung des Patentschutzes in weniger weit entwickelten Volkswirtschafen, womit die Ausgestaltung eines an nationalen Bedürfnissen ausgerichteten Patentsystems häufig unterminiert wird.
Die Zielsetzung der Patent Declaration ist, den Umfang der tatsächlich bestehenden Regelungsautonomie mit Blick auf die Ausgestaltung des nationalen Patentrechts aufzuzeigen und damit Rechtssicherheit namentlich im Umgang mit dem TRIPS-Übereinkommen und der PVÜ zu schaffen. Gleichzeitig soll damit die Verhandlungssouveränität politischer Entscheidungsträger im Rahmen von bilateralen oder regionalen Abkommen gestärkt werden. Dabei sollen nationalen Gesetzgebern oder Gerichten allerdings keine konkret zu beschreitenden Wege aufgezeigt werden. Ein geeignetes Gleichgewicht muss jede Volkswirtschaft selbst finden, denn von den jeweiligen Rahmenbedingungen hängt ab, wie das System des Patentschutzes seiner Funktion zugeführt werden kann, um Wettbewerbs- und Innovationsprozesse zu optimieren und die ausschließliche Wirkung des Patents mit anderen Allgemein interessen in Einklang zu bringen. Mit andern Worten zeigt die Patent Declaration nur auf, was zulässig ist – nicht was richtig und was falsch ist. Sie richtet sich damit auch nicht an bestimmte Staaten.
Inhaltlich konzentriert sich die Patent Declaration auf ausgewählte, besonders kritische Bereiche. Konkret geht es etwa um Möglichkeiten zu Differenzierungen des Schutzes von Erfindungen; die Frage, was ein nationales System überhaupt als patentierbare Erfindung anerkennen muss; die Voraussetzungen, unter welchen Patentschutz gewährt werden muss; die Reichweite dieses Schutzes oder um zulässige Schutzbegrenzungen. Ergebnis jahrelanger Forschung und Kooperation. Die Patent Declaration wurde am zwanzigsten Jahrestag der Einigung auf die Gründung der Welthandelsorganisation (und damit auf das TRIPS-Übereinkommen), also am 15. April 2014, unter dem Titel Declaration on Patent Protection – Regulatory Sovereignty under TRIPS veröffentlicht. Die Wahl dieses Datums sollte nicht zuletzt darauf hinweisen, dass das TRIPS-Übereinkommen nicht als solches problematisch und seine gelegentliche Anfeindung durch Entwicklungs- und Schwellenländern wenig zielführend ist. Im Gegenteil: die 1994 eingebaute Regelungs autonomie bzw. Flexibilität ist in Wahrheit weitreichend; der Freiheit, sie zu nutzen, begeben sich die meisten Staaten selbst.
Vorangegangen sind den rund fünfjährigen Arbeiten an der Declaration vielschichtige und umfangreiche wissenschaftliche Arbeiten von Angehörigen des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb und Kollegen in der Fachwelt. Wie schon beim eigentlichen Vorbild der Patent Declaration – der Declaration on a Balanced Interpretation of the „Three-StepTest“ in Copyright Law – reifte nach einer gewissen Zeit aber die Erkenntnis, dass mit Grundlagenforschung allein jene Kreise, die eine Weiterentwicklung des Patent rechts letzten Endes in der Hand haben, kaum erreicht werden. Erforderlich ist dafür vielmehr eine knappe, allgemeinverständliche Kondensation der Ergebnisse. Wirkung entfalten kann eine solche Positionierung wiede rum nur, wenn sie nicht Einzelmeinungen wiedergibt, sondern sehr breit abgestützt ist.
Im Hinblick auf diese Zielsetzung involvierte das Institut über 40 ausgewiesene Patentrechtsexperten aus 25 Ländern. Zusammen mit fünf Institutsangehörigen bildeten sechs herausragende externe Mitwirkende die Kerngruppe. Dabei spricht die Tatsache, dass für die weniger als zwanzig Seiten – zwei Seiten Vorwort, zehn Seiten Erläuterungen und fünf Seiten für die eigentliche Erklärung – ein derart langer Zeitraum mit einer Vielzahl von Treffen in unterschiedlicher Zusammensetzung (unter anderem in München, Hamburg, Berlin, Oxford und Singapur) erforderlich war, Bände über den Meinungsfindungsprozess. Zwar wurden alle Entwürfe am Institut erstellt, und das Institut zeichnete auch für die Endredaktion verantwortlich. Jedoch wurde für jede in der Declaration vertretene Position stets eine eindeutige Mehrheit gesucht – und gefunden. Abzuwarten bleibt, ob die Patent Declaration in ähnlich durchschlagender Weise die Aufmerksamkeit der Fachwelt auf sich ziehen wird wie die 2008 veröffentlichte Copyright Declaration. Ein Durchbruch wird eher schwieriger sein, weil die Materie wesentlich breiter und komplexer ist, und der Zirkel, dessen Aufmerksamkeit sie erwecken soll, enger. Geplant sind verschiedene Veranstaltung in Schlüsselländern (China, Indien, Brasilien, Südamerika), gleichzeitig aber auch in den USA und in verschiedenen Ländern Europas, wo der Erklärungsbedarf höher sein wird, dass die Declaration nicht eine patentfeindliche, sondern eine innovations- und entwicklungsfreundliche Zielsetzung verfolgt.
Declaration on Patent Protection – Regulatory Sovereignty under TRIPS (English)
Declaration on Patent Protection – Regulatory Sovereignty under TRIPS (Español)
Declaration on Patent Protection – Regulatory Sovereignty under TRIPS (Português)
Declaration on Patent Protection – Regulatory Sovereignty under TRIPS (在中文中)
Declaration on Patent Protection – Regulatory Sovereignty under TRIPS (日本語で)