Einheitsverpackungen für Zigaretten verstoßen nicht gegen internationale Handelsregeln: Das Berufungsgremium der Welthandelsorganisation (WTO) hat im Juni mit einer Bestätigung der ursprünglichen Entscheidung des WTO-Panels von 2018 weltweites Medieninteresse hervorgerufen und gleichzeitig einen fast zehn Jahre andauernden Rechtsstreit beendet.
Der Hintergrund: Im Jahr 2012 hatte Australien als weltweit erstes Land einheitliche schlammgrüne Verpackungen für Zigaretten eingeführt, die mit drastischen Bildern vor den Folgen des Rauchens warnen. Was Marken angeht, sollten alle Logos oder Markenzeichen von Tabakverpackungen entfernt und der Markenname nur in kleinen standardisierten Schriftarten gedruckt werden. Daraufhin leiteten die vier tabakproduzierenden Länder Indonesien, Honduras, die Dominikanische Republik und Kuba ein Streitschlichtungsverfahren bei der WTO ein. Die Maßnahme sei nicht mit dem TRIPS-Abkommen (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) vereinbar. Ihre Beschwerde wurde 2018 von dem Panel zurückgewiesen. Die daraufhin von Honduras und der Dominikanischen Republik eingelegten Rechtsmittel wurden im Juni dieses Jahres nun ebenfalls abgelehnt.
Bedeutung geht über das Markenrecht hinaus
Tatsächlich dürften die Entscheidungen nicht nur die Einführung von sogenanntem „Plain Packaging“ weltweit beschleunigen, sondern Auswirkungen weit über die Tabakindustrie hinaus haben. Die aktuelle Publikation „The Revitalisation of the Object and Purpose of the TRIPS Agreement: The Plain Packaging Reports and the Awakening of the TRIPS Flexibility Clauses” von Christophe Geiger und Luc Desaunettes-Barbero zeigt, dass die Tragweite dieser Entscheidungen über das Markenrecht hinausgeht und sogar neue Interpretationsspielräume für das gesamte TRIPS-Abkommen eröffnet.
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die neuartige Anwendung der sogenannten Flexibilitätsklauseln in den „Plain Packaging“-Entscheidungen. Diese Klauseln aus Artikel 7 und 8 beschreiben die Zielsetzungen und Grundsätze des TRIPS-Abkommens. Während sie bei der Interpretation der Bestimmungen des Abkommens in der Praxis bislang kaum eine Rolle gespielt hatten, griffen die WTO-Streitbeilegungsorgane in den „Plain Packaging“-Entscheidungen zum ersten Mal auf die beiden Artikel zurück. Im Lichte dessen kommen sie zu dem Schluss, dass die öffentliche Gesundheit einen legitimen Grund darstellen kann, die Benutzung einer Marke zu begrenzen.
Die zwei Autoren zeigen weiter, dass diese neue Verwendung von Artikel 7 und 8 die Möglichkeit zu einer flexibleren Auslegung des TRIPS-Abkommens bietet. Das betrifft vor allem die Ausnahmebestimmungen. Nachdem die WTO in der Vergangenheit darauf verzichtet hatte, Artikel 7 und 8 zu verwenden, verankerte sie eine enge Interpretation der Ausnahmebestimmungen: Im Mittelpunkt stand ein starker Schutz der Immaterialgüterrechte ohne kritische Abwägung, ob diese im Einzelfall dysfunktionale Effekte mit sich bringen könnten. Die „Plain Packaging“-Entscheidungen eröffnen den WTO-Mitgliedstaaten nun mehr Flexibilität, Immaterialgüterrechte besser an die aktuellen ökonomischen Bedingungen anzupassen und kollidierende Menschenrechte zu berücksichtigen.
Die gesamte Publikation finden Sie hier.