Geographische Herkunftsangaben (Geographical Indications, GIs) sind Bezeichnungen für Produkte aus bestimmten Regionen, die ihre Qualität oder Reputation ihrer geographischen Herkunft verdanken. Indem sie zur Qualitätsdifferenzierung von lokalen Produkten dienen, erhalten entsprechende Waren mehr Beachtung im Markt und erzielen meist höhere Preise. Auf diese Weise sind Geographische Herkunftsangaben wichtige Mittel, um die wirtschaftliche Entwicklung insbesondere im ländlichen Raum zu fördern.
Obwohl die weltweite Aufmerksamkeit für GIs wächst – sowohl von Seiten der Politik als auch der Ökonomie – gibt es bislang nur wenig rechtswissenschaftliche Forschung zu dem Thema. Das Institut, das bereits seit vielen Jahren in dem Bereich forscht, hat deswegen 2018 eine eigene Forschungsagenda ins Leben gerufen, die Geographische Herkunftsangaben tiefgreifend untersucht. Die Initiative geht in zwei verschiedene Richtungen: Sie nimmt zum einen eine Gesamtbetrachtung des GI-Systems der Europäischen Union vor, zum anderen untersucht sie das Potenzial von GI-Systemen in Lateinamerika.
Gesamtbewertung des GI-Systems in der EU
Innerhalb der Europäischen Union gibt es seit 1992 ein einheitliches Schutzsystem für Geographische Herkunftsangaben für landwirtschaftliche Produkte und Lebensmittel. Unterschieden werden zwei Arten Geographischer Herkunftsangaben: Sogenannte Protected Geographical Indications (PGIs) und Protected Designations of Origin (PDOs). Beide genießen den gleichen Schutzumfang, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der Anforderungen an die Registrierung und Aufrechterhaltung.
Obwohl sich das europäische GI-System in der Praxis bewährt hat, besteht die Notwendigkeit, seine allgemeine Funktionsweise während der vergangenen drei Jahrzehnte besser zu verstehen. Eine Forschungsgruppe mit fünf Mitgliedern hat deswegen eine umfassende qualitative und quantitative Untersuchung der vorhandenen Daten vorgenommen.
In einem ersten Schritt führten die Mitglieder der Gruppe eine statistische Analyse aller PGIs und PDOs durch, die zwischen 1996 und 2019 im Rahmen des EU-Schutzsystems für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel registriert wurden. Die Datenquelle für diese Analyse war das sogenannte “Single Document”. Als Kern jedes Antrags auf Eintragung einer Geographischen Herkunftsangabe enthält dieses unter anderem eine Definition der geographischen Region, eine Beschreibung der Produktionsmethode und Details über den sogenannten “Origin Link” – den kausalen Zusammenhang zwischen dem Produkt und der geographischen Region. Weitergehende Untersuchungen zu Backwaren und Kartoffeln bezogen im Rahmen einer qualitativen Auswertung auch die komplette Spezifikation ein. Die Untersuchung ergab eine Verbesserung der Qualität und Genauigkeit der angegebenen Informationen, insbesondere über die Verbindung zwischen Region und Produkt.
Obwohl die Anforderungen an den Erhalt eines GI-Schutzes und die wichtigsten Verfahrensregeln innerhalb der EU vereinheitlicht wurden, sind auch die nationalen Behörden weiter in den Registrierungsprozess einbezogen. Weitere Untersuchungen der nationalen Regeln und zugehörigen Verfahren in ausgewählten Ländern ergaben, dass nationale Ansätze und Eigenheiten die Funktionsfähigkeit eines einheitlichen Schutzsystems beeinträchtigen könnten.
Im Jahr 2018 kündigte die Europäische Kommission an, das gegenwärtige GI-Schutzsystem auf nicht-landwirtschaftliche Produkte ausweiten zu wollen. Für diese existieren Schutzmöglichkeiten bislang nur auf nationaler Ebene. Im Vorgriff auf einen Vorschlag der EU untersuchten die Forschenden einige der nationalen Schutzsysteme um herauszufinden, ob das gegenwärtige EU-System mit seinen PGIs und PDOs auch für nicht-landwirtschaftliche Produkte passend sein könnte. Die Erkenntnisse deuten darauf hin, dass eine Ausweitung des bestehenden Systems – mit einigen prozessualen Anpassungen – funktionieren könnte.
In einem nächsten Schritt ist – in Zusammenarbeit mit der Universität von Alicante und der EUIPO – eine Untersuchung der Schnittstelle zwischen dem GI-System und dem Markensystem, inklusive Kollektivmarken und Gütesigel, geplant.
Untersuchung der GI-Systeme in Lateinamerika
Wegen ihres Potenzials, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Produktionsregionen zu fördern, spielen Systeme zur Qualitätsdifferenzierung für lateinamerikanische Länder eine besonders wichtige Rolle. Eine herkunftsbasierte Produktion, einschließlich des verarbeitenden Gewerbes, des Kunsthandwerks und insbesondere der Lebensmittelproduktion, ist für ihre Wirtschaft von wesentlicher Bedeutung, allem voran für kleine Produzenten, Handwerker und Kleinbauern. Doch obwohl sich viele Produkte aus Lateinamerika für einen Schutz durch Geographische Herkunftsangaben gut eignen, erfordert die Integration von lokalen Bedürfnissen, kulturellen Traditionen und sozialen Aspekten weitere Forschung. Auch andere verfügbare Kennzeichen zu identifizieren sowie deren Schnittstellen, Stärken und Schwächen zu untersuchen, würde dabei helfen, das System als Ganzes besser zu verstehen.
Die Tatsache, dass der Schutz Geographischer Herkunftsangaben zunehmend Gegenstand von Freihandelsabkommen unter Beteiligung lateinamerikanischer Länder ist, könnte darüber hinaus deren Handlungsspielraum für die Festlegung nationaler und regionaler Ansätze beschränken. Eine weitere Untersuchung von Verpflichtungen aus Freihandelsabkommen könnte dementsprechend Herausforderungen bei der Umsetzung auf nationaler Ebene aufzeigen.
Im Rahmen der 2018 ins Leben gerufenen Initiative “Smart IP for Latin America” (SIPLA) des Instituts ergab sich deswegen schnell, dass Geographical Indications ein Gebiet sind, das weiterer Erforschung bedarf. Erster Schritt im Rahmen des SIPLA-Projekts “Collective Distinctive Signs” war deswegen eine Untersuchung von GIs in Form einer rechtsvergleichenden Bewertung der Systeme neun ausgewählter Staaten in der Region. Angesichts der Fülle an Informationen, die für die Forschenden für ihre Arbeit von Interesse sind, hat das SIPLA-Team einen umfassenden Fragebogen entworfen, der von Vertretern aus Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Mexiko, Paraguay, Peru und Uruguay beantwortet wurde. Der Fragebogen rückte insbesondere die Schutzsysteme für Geographische Herkunftsangaben sowie auch andere bestehend Kennzeichen in den Fokus. Er enthielt Fragen zu nationalen, regionalen und lokalen Rechtsvorschriften, sofern entsprechende Regeln existieren, sowie zur Rechtsprechung.
Auf Basis der Informationen, die durch den Fragebogen gewonnen wurden sowie durch die Analyse der Freihandelsabkommen, denen die ausgewählten Länder angehören, wurde ein umfassender “General Comparative Report” erstellt. Schließlich wurden in den verschiedenen nationalen und regionalen Systemen gemeinsame Elemente identifiziert. Aus diesen Elementen ergeben sich mindestens zwei mögliche Forschungsbereiche, die in Zukunft weiterentwickelt werden sollten. Der erste bezieht sich auf weitere Kennzeichnungsmöglichkeiten neben Geographical Indications – insbesondere Zeichen für den kollektiven Gebrauch, von denen vor allem Kleinbauern und kleinere Produzenten profitieren können. Der zweite befasst sich mit der weiteren Erforschung des Schutzniveaus von Geografischen Herkunftsangaben mit Fokus auf die Einbeziehung von Standards aus dem TRIPS-Abkommen und Verpflichtungen aus Freihandelsabkommen auf nationaler und regionaler Ebene.
Ausführliche Informationen über die Forschungsinitiative finden Sie im ePaper des aktuellen Tätigkeitsberichts.