Studie  |  17.07.2023

Mehr Transparenz und das Recht auf Open Data

In seinem aktuellen Diskussionspapier untersucht Heiko Richter, wissenschaftlicher Referent am Institut, zwei Ziele des Koalitionsvertrags der Ampel-Regierung: die Informations­freiheitsgesetze zu einem Bundes­transparenz­gesetz weiterzuentwickeln und einen Rechtsanspruch auf Open Data einzuführen.

Dabei fragt er, was genau diese Ziele bedeuten und inwiefern sie sich sinnvoll ver­binden lassen. Weiter arbeitet Richter konkrete Reform­möglichkeiten aus, die einen Paradigmen­wechsel behut­sam herbeiführen würden. Schließlich befürwortet er, dass Ansprüche auf Informations­­veröffent­lichung und Daten­bereitstellung gesetzlich normiert werden, weil sie tragende Funktionen in einer freien und digitalen Gesellschaft übernehmen.


Zunächst analysiert der Beitrag eingehend bereits bestehende Open-Data-Regeln und Transparenzgesetze in Deutschland. Die Ergebnisse der Analyse und Diskussion werden abschließend übersichtlich als konkrete Handlungsempfehlungen in sieben Thesen vorgestellt. Dabei schlägt Richter zwei mögliche Varianten vor: Der als „kleine Lösung“ bezeichnete Erlass eines Bundestransparenzgesetzes mit „Open-Data-Verlängerung“ und korrespondierenden Ansprüchen. In einer umfassenderen „großen Lösung“ würde zusätzlich zur kleinen Lösung ein gemeinwohlbezogener Anspruch auf Open Data nach § 12a EGovG gesetzlich verankert.


Heiko Richter
Transparenzgesetz des Bundes und „Rechtsanspruch auf Open Data“ Konzeptionelle Perspektiven jenseits der Neuerfindung des Rades
(Federal Transparency Law and “Right to Open Data”: Conceptual Perspectives Beyond the Reinvention of the Wheel)

Max Planck Institute for Innovation & Competition Discussion Paper No. 22

Collage aus dem Schriftzug Podcast mit Bild eines Mikrophons und Porträtphoto des Forschers Timm Opitz
Studie  |  01.06.2023

Gegen die Uhr klicken – Wie Zeitdruck und Bedauern unser Verhalten beim Online-Shopping beeinflussen

In einer neuen Podcast-Episode erklärt Timm Opitz, wie Zeit­druck und Bedauern unser Such­verhalten in der Welt des Online-Shopping beein­flussen können. Er gibt Einblicke in seine Forschungs­arbeit “Time Pressure and Regret in Sequential Search”, in der er die Aus­wirkun­gen von Dringlichkeit und Bedauern auf das opti­male Such­ver­halten an­hand von Ex­peri­menten in einer kon­trollier­ten Um­gebung unter­sucht.

Collage aus dem Schriftzug Podcast mit Bild eines Mikrophons und Porträtphoto des Forschers Timm Opitz
Timm Opitz spricht im Wissenschaftspodcast Game Changer

Im Podcast stellt er auch einige Stra­te­gien vor, mit denen wir den Einfluss von Druck und Be­dauern auf unser Ein­kaufs­ver­halten über­winden können.


Timm Opitz ist Junior Research Fellow und Doktorand in der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung Innovation and Entrepreneurship Research des Instituts. Seine Forschungs­schwer­punkte sind Entre­preneur­ship, verhaltens­orientiertes Markt­design und Ent­wicklungs­psychologie.


Wahrgenommene Dringlichkeit und Bedauern sind bei vielen sequentiellen Suchprozessen zu beobachten. So üben Verkäufer bei der Suche nach dem besten Angebot oft Druck auf Kunden aus, und zwar sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch in Bezug auf das potenzielle Bedauern über den Verzicht auf einmalige Kaufangebote. Theoretisch führen diese Strategien zu antizipiertem und erlebtem Bedauern, was sich systematisch auf das Suchverhalten auswirkt und somit die optimale Suche verzerrt. Darüber hinaus kann die Dringlichkeit den Entscheidungsprozess und damit auch die Stärke des Bedauerns verändern.


Um die empirische Relevanz dieser Aspekte zu verstehen, untersucht Timm Opitz mit seinen Koautoren die kausalen Effekte von Bedauern, Dringlichkeit und deren Wechselwirkung auf das Suchverhalten im Experiment. Empirisch zeigt sich, dass antizipiertes Bedauern das Suchverhalten weder mit noch ohne Zeitdruck beeinflusst, während erlebtes Bedauern zu systematischen Anpassungen der Suchdauer führt. Dringlichkeit reduziert die Entscheidungszeit und die wahrgenommene Entscheidungsqualität, verändert aber nicht generell die Suchdauer. Nur sehr unerfahrene Kunden kaufen unter Druck früher. Daher können Verbraucher­schutz­maß­nahmen gegen Impulskauftaktiken vor allem unerfahrenen Verbraucher*innen helfen.


Hier geht es direkt zum Podcast (auf Englisch).


Hier zur vollständigen Publikation:


Klimm, Felix; Kocher, Martin G.; Opitz, Timm; Schudy, Simeon A. (2023).
Time Pressure and Regret in Sequential Search
Journal of Economic Behavior & Organization, 206, 406-424

Stellungnahme  |  03.05.2023

Stellungnahme zur Implementierung des Gesetzes über digitale Märkte

Der Digital Markets Act (DMA) trat am 1. November 2022 in Kraft und gilt seit dem 2. Mai 2023. Sein Ziel ist es, in der gesamten EU bestreit­bare und faire Märkte im digi­talen Sektor, auf denen Gate­keeper tätig sind, zu gewähr­leisten. In seiner Stellung­nahme vom 2. Mai 2023 erkennt das Institut an, dass ein­heitliche Regeln für zentrale Platt­form­dienste und eine zentra­lisierte Durch­setzung not­wendig sind, um eine Frag­mentierung des Binnen­marktes zu verhindern. Es hat jedoch weiter­hin Bedenken hin­sicht­lich der einzig­artigen institutio­nellen Aus­gestaltung des DMA und der Inter­aktion des DMA mit anderen Normen, wie in den Artikeln 1(5), 1(6) und 1(7) fest­gelegt wird.

Symbolic image: Digital Markets, photo: geralt/Pixabay

Insbesondere macht das Institut auf mögliche, zu weitreichende, Sperr­wirkungen des DMA auf nationale Regelungen aufmerksam. Diese könnten unbeabsichtigte Folgen haben, indem sie künftige nationale Gesetzesinitiativen gefährden, dadurch Gatekeeper privilegieren und letztlich die Bestreitbarkeit und Fairness auf digitalen Märkten behindern. Eine ergänzende Anwendung der Wettbewerbsregeln und eine wirksame Durchsetzung des DMA ist vor diesem Hintergrund umso wichtiger. Es besteht jedoch Unsicherheit über staatliche Rechtsdurchsetzungsmechanismen, und es ist weiterhin unklar, welche Rolle die private Rechtsdurchsetzung spielt. In der Stellungnahme werden Herausforderungen bei der Umsetzung des DMA aufgezeigt und untersucht, sowie konkrete Lösungsempfehlungen gegeben.


Position Statement of the Max Planck Institute for Innovation and Competition of 2 May 2023 on the Implementation of the Digital Markets Act (DMA)

Digital Markets Act (DMA)

Commission Implementing Regulation for the DMA of 14 April 2023

Verschiedenes  |  21.04.2023

Welchen Beitrag kann das Patentrecht zur Bekämpfung der Klimakrise leisten?

Um die Herausforderungen zu bewältigen, vor die die Klimakrise uns stellt, werden dringend neue nachhaltige Technologien benötigt. Unterschiedliche Gründe können jedoch zu Marktversagen führen, was unter Umständen Investitionen in solche Innovationen hemmt.

Foto: Leopictures/Pixabay

Reto M. Hilty und Pedro Henrique D. Batista werfen in ihrem aktuellen Artikel die Frage auf, welche Rolle das Patentrecht spielt, um die verschiedenen Arten von Marktversagen zu korrigieren. Konkret untersuchen die Autoren, inwieweit Anpassungen des Patentrechts möglich und sinnvoll sind, zeigen aber auch, wann das Patentrecht seine Wirkungen verfehlt. Zudem analysieren sie mögliche Effekte sonstiger regulatorischer Interventionen, insbesondere ob technologische Vorgaben möglichem Marktversagen entgegenwirkt oder ob damit das Risiko von Staatsversagen einhergeht.


Reto M. Hilty, Pedro Henrique D. Batista
Potential and Limits of Patent Law to Address Climate Change
Max Planck Institute for Innovation & Competition Research Paper No. 23-10

European Commission: Intellectual Property – Revised Framework for Compulsory Licensing of Patents
Stellungnahme  |  13.03.2023

Stellungnahme zur Initiative Zwangslizenzen in der Europäischen Union

Im Rahmen der öffentlichen Konsultation der Europäischen Kommission zur „Zwangslizensierung von Patenten in der EU“ hat das Institut eine Stellungnahme veröffentlicht. Die Autor*innen um Reto M. Hilty begrüßen, dass die Kommission den öffentlichen Diskurs über dieses Thema neu beleben möchte. Nach Ansicht der Autor*innen geht der Reformvorschlag der Kommission allerdings nicht weit genug.

Logic Mill-Logo
Verschiedenes  |  31.01.2023

Logic Mill – ein Navigationssystem für Wissen

Eine ständig wachsende Zahl von Patenten, wissen­schaft­li­chen Publi­kationen und anderen Textcorpora wird für viele Forschende zunehmend zur Belastung. Gleichzeitig eröffnen sich aber auch neue wis­sen­schaft­li­che Analysemöglichkeiten. Das skalierbare, quelloffene Software-System Logic Mill wendet maschi­nelles Lernen auf sehr große Doku­­men­ten­sätze an und ermöglicht Forschenden, ähnliche Texte in ver­schie­den­sten Be­rei­chen schnell zu identifizieren. Hiermit ergeben sich neue Perspektiven etwa für Re­cher­chen zum Stand der Technik bei der Patentprüfung, zur Beurteilung der Neuheit von Patenten und Ver­öffent­li­chun­gen sowie der Wahr­schein­lich­keit von Patentstreitigkeiten. 

Logic Mill-Logo
Logic Mill-Logo – inspiriert von Gottfried Wilhelm Leibnitz’ Sprossenrad aus der Skizze einer Rechenmaschine.
Darstellung der Implementierung von Logic Mill
Darstellung der Implementierung von Logic Mill

Forschende sehen sich mit einer immer größeren Menge an relevanten Dokumenten aus den unterschiedlichsten Bereichen konfrontiert. Damit besteht ein wachsender Bedarf an Werkzeugen, die es Forschenden ermöglichen, verwandte Texte in ver­schie­de­nen Bereichen schnell zu identifizieren. Bestehende Lösungen erlauben keine Verknüpfung von Dokumenten aus Textkorpora, die verschiedenen Domänen entstammen. Sie sind zudem nicht skalierbar oder verwenden Algorithmen, die nicht quelloffen und allgemein zugänglich sind.


Logic Mill – ein neues Software-System und Forschungstool


Logic Mill ist ein neues Software-System und Forschungstool, das von einer Forschungsgruppe der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung unter Leitung von Dietmar Harhoff entwickelt wurde, um Dokumente zu identifizieren, die einem bestimmten Text in anderen Textkorpora ähnlich sind. Es besteht aus einer Reihe von quelloffenen Software-Komponenten und besitzt eine öffentliche Schnittstelle für die Anwendungsprogrammierung (API), die von der wissenschaftlichen Gemeinschaft genutzt werden kann.


Die Lösung


Die Logic Mill-Software analysiert große Teile von Texten, die ja nicht nur aus Wörtern, sondern auch Struktur und Kontext bestehen, mit Hilfe modernster maschineller Lernverfahren. Im Gegensatz zu früheren Versuchen, die Ähnlichkeit von Texten zu schätzen, berücksichtigt Logic Mill die semantische Struktur als zusätzliche Dimension der Ähnlichkeit. Logic Mill sucht nicht nur nach dem Vorkommen gleicher Wörter, sondern auch danach, in welchem Kontext (d.h. relativ zum Satz und Absatz) diese vorkommen. Spezielle Modelle für maschinelles Lernen kodieren den Text numerisch und lassen so die Berechnung verschiedener Ähnlichkeitsmaße zu.


Bisherige Versuche, Textdokumente zu vergleichen, beschränkten sich meist auf Texte der gleichen Kategorie, z.B. Patente mit Patenten oder Publikationen mit Publikationen. Nun kann man Dokumente aus verschiedenen Domänen untereinander und miteinander vergleichen.


Bisher arbeitet Logic Mill mit Datensätzen von Semantic Scholar, EPO, USTPO und WIPO. Eine Einbindung von Wikipedia ist in Vorbereitung.


Die Anwendungsmöglichkeiten


Logic Mill ermöglicht schnell umfangreiche Literaturrecherchen. Es erlaubt, semantisch ähnliche Patentdokumente zu finden, was wichtig für Recherchen zum Stand der Technik bei der Patentprüfung oder für die Abschätzung der Wahrscheinlichkeit von Patentstreitigkeiten ist. Zudem kann eine Verbindung von Patenten zu entsprechenden wissenschaftlichen Publikationen hergestellt werden. Logic Mill kann sowohl Referenzen für neue Dokumente als auch gerade neu veröffentlichte Publikationen empfehlen. Es erlaubt zudem, die Neuheit von Patenten und Publikationen zu bewerten. Darüber hinaus können Wissensströme über verschiedene Bereiche hinweg verfolgt und neue Trends und die Verbreitung neuer Konzepte aufgespürt werden.


Der Name des Projekts Logic Mill ist durch die Romane des “Barock Cycle” des britischen Schriftstellers Neal Stephenson inspiriert. Darin entwirft der deutsche Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz eine Maschine, die das gesamte menschliche Wissen auf der Grundlage eines Abrufsystems organisiert, das auf Primzahlen basiert. Diese Maschine ist zwar fiktiv, aber Leibniz’ Gedanken klingen in der modernen Informatik nach, insbesondere im Hinblick auf das Problem der numerischen Darstellung jeglicher Art von Daten.


Weitere Informationen:


Wenn Sie über die Fortschritte bei Logic Mill informiert werden möchten oder am Testprogramm teilnehmen möchten, können Sie sich auf der Logic Mill-Website registrieren.


Direkt zur Publikation Logic Mill – A Knowledge Navigation System.

Teilnehmende des Workshops im Oktober 2021 in Kyjiw. Foto: Sophia Sorg
Studie  |  27.01.2023

Umfassendes Werk zum ukrainischen Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht veröffentlicht

Bereits im Jahr 2020 begann das Buchprojekt, dessen Ergebnis nun vorliegt. Heiko Richter, wissenschaftlicher Referent am Institut, gibt mit “Competition and Intellectual Property Law in Ukraine” das bislang umfassendste Buch zum ukrainischen Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht in englischer Sprache heraus.

Teilnehmende des Workshops im Oktober 2021 in Kyjiw. Foto: Sophia Sorg
Teilnehmende des Workshops im Oktober 2021 in Kyjiw. Foto: Sophia Sorg

Die 600 Seiten zählende Publikation setzt den Endpunkt eines zweieinhalbjährigen Projekts. Hieran waren mehr als 20 ukrainische Rechtswissenschaftler*innen beteiligt, die mit ihren Beiträgen ein breites thematisches Spektrum abdecken. Der ganzheitlich konzipierte Band bezweckt, die Entwicklung und den aktuellen Stand des ukrainischen Rechts für die internationale Forschungsgemeinschaft zugänglich und sichtbar zu machen. Neben der Förderung des wissenschaftlichen Diskurses soll das Buch auch politische Verantwortliche ansprechen. So erörtern und konkretisieren die Beiträge rechtspolitische Reformvorschläge.


Die jüngere Rechtsentwicklung in der Ukraine ist außerordentlich dynamisch. Nicht zuletzt infolge des 2014 geschlossenen Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und der EU haben sich das ukrainische und Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht stark verändert. Die Untersuchung beleuchtet theoretische Aspekte der Rechtsangleichung ebenso wie konkrete Entwicklungen in den Bereichen des internationalen Handelsrechts, des Kartell- und Lauterkeitsrechts, des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts. Dabei erstreckt sich das Themenspektrum von der „Europäisierung“ des ukrainischen Kartellrechts und der kartellrechtlichen Regulierung der Digitalwirtschaft über den Zugang zu Medikamenten und die Bedeutung geographischer Herkunftsangaben bis hin zur Reform der Verwertungsgesellschaften und des immaterialgüterrechtlichen Schutzes künstlicher Intelligenz. 


Mit dem Ziel, ein Standardwerk vorzulegen, haben die Autorinnen und Autoren über Instituts- und Ländergrenzen hinweg intensiv zusammengearbeitet. Ihrer Beharrlichkeit und Zuversicht ist es zu verdanken, dass das Manuskript inmitten der Kriegswirren schließlich im Spätsommer 2022 fertiggestellt werden konnte. Für das Institut waren neben dem Herausgeber auch noch Moritz Sutterer, Daria Kim, Sophia Sorg und Claudia Dalmau Gomez an dem Projekt beteiligt, das auch von einem Online- und einem Präsenz-Workshop in Kyjiw im Oktober 2021 begleitet wurde. Im Rahmen des Projektes sind viele persönliche Kontakte entstanden.


Competition and Intellectual Property Law in Ukraine ist als Teil der Reihe MPI Studies on Intellectual Property and Competition Law bei Springer erschienen und steht dort über Springer-Link als PDF und EPUB als zum Download zur Verfügung. Die Druckversion ist im Buchhandel verfügbar.

Studie  |  26.01.2023

Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens, beschuldigte Forschende und ihre wissenschaftliche Arbeit

Sanktioniert die wissenschaftliche Gemeinschaft sexuelles Fehlverhalten? Während wissenschaftliche Arbeit gemäß Mertons Norm des Universalismus unabhängig davon beurteilt werden sollte, wer sie geschaffen hat, sollte die wissenschaftliche Gemeinschaft auch gutes Sozialverhalten fördern, um ein inklusives Umfeld zu schaffen. Die Ergebnisse einer neuen Studie werfen eine Reihe von ethischen Fragen auf, die die wissenschaftliche Gemeinschaft in Zukunft beantworten muss. 

Ziel der Wissenschaft ist, Wissen zu produzieren. Um diesen Prozess zu erleichtern, ist die Wissenschaft nach einer Reihe von Grundsätzen organisiert, die als „Merton’sche Normen“ bekannt sind. Ein Grundsatz ist unter anderem, dass Ideen nach ihrem eigenen Wert beurteilt werden, unabhängig davon, wer sie geschaffen hat. Gleichzeitig ist Wissenschaft aber auch ein soziales System. Die Gemeinschaft der Forschenden kann sich auf zusätzliche Normen stützen, um ein inklusives Umfeld zu schaffen und sich selbst zu regulieren. Manchmal stehen diese Normen in Konflikt miteinander.


Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die Gemeinschaft den wissenschaftlichen Artikeln von Forschenden, von denen Arbeiten zurückgezogen wurden, weniger Aufmerksamkeit schenkt, d.h. sie weniger zitiert. Eine solche Strafe kann als vereinbar mit Merton’schen Normen angesehen werden, da Rücknahmen Zweifel an der Gültigkeit der Arbeit aufkommen lassen. Vergleichbare Strafen für Beiträge von Forschenden, die in eklatanter Weise gegen soziale Normen verstoßen haben, sind jedoch problematisch.


In einer neuen Studie versuchen Rainer Widmann, Michael E. Rose und Marina Chugunova die Frage zu beantworten, ob die wissenschaftliche Gemeinschaft nicht nur „schlechte Wissenschaft“, sondern auch „schlechtes Sozialverhalten“ sanktioniert. Sie konzentrieren sich dabei auf sexuelles Fehlverhalten, das in der Wissenschaft wie auch in anderen Bereichen eine verbreitete Form der Verletzung sozialer Normen darstellt.


In ihrer Analyse verfolgen sie die Zitierungen wissenschaftlicher Artikel mutmaßlicher Täter, die vor Anschuldigungen sexuellen Fehlverhaltens veröffentlicht wurden, und vergleichen sie mit den Zitierungen anderer Artikel aus der gleichen Zeitschriftenausgabe. Sie stellen fest, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft frühere Arbeiten mutmaßlicher Täter weniger zitiert, nachdem Anschuldigungen sexuellen Fehlverhaltens aufgetaucht sind. Forschende, die dem Täter im Rahmen eines Koautoren-Netzwerks sehr nahestehen (z.B. ehemalige Koautor*innen), reagieren am stärksten und reduzieren ihre Zitierungen am deutlichsten. Vergleicht man die Ergebnisse der neuen Studie mit Zitationsstrafen für wissenschaftliches Fehlverhalten, scheinen die Größenordnungen ähnlich zu sein. Schließlich dokumentiert die Studie, dass mutmaßliche Täter mit spürbaren Konsequenzen für ihre Karriere zu rechnen haben: Sie veröffentlichen weniger, kooperieren weniger mit anderen und verlassen die akademische Forschung mit größerer Wahrscheinlichkeit.


Es kann mehrere Gründe geben, warum Autorinnen und Autoren Zitate zurückhalten. Erstens könnten sie dies tun, um zu bestrafen – selbst dann, wenn die Bestrafung mit Kosten verbunden ist, etwa einem Abweichen von der üblichen Norm beim Zitieren relevanter früherer Arbeiten. Zweitens zitieren Autorinnen und Autoren möglicherweise deshalb nicht, um nicht als Befürworter sexuellen Fehlverhaltens zu gelten. Dieses Motiv könnte besonders für Forschende relevant sein, die dem mutmaßlichen Täter nahestehen. Drittens trennen Fachkolleginnen und -kollegen möglicherweise nicht zwischen akademischem und nichtakademischem Fehlverhalten oder sind der Ansicht, dass Fehlverhalten in beiden Bereichen zusammenhängt.


Die vorgestellte Studie ist die erste, die systematische Erkenntnisse über die Folgen sexuellen Fehlverhaltens für die Täter liefert. Die Ergebnisse werfen eine Reihe ethischer Fragen auf, die das Spannungsverhältnis zwischen der Förderung von Wissen und der Förderung der Wissenschaft als sozialer Institution verdeutlichen. Ist der Rückgang der Zitate von früheren Arbeiten des Täters eine unangemessene Verzerrung des wissenschaftlichen Prozesses oder eine angemessene Strafe? Ist der Verlust an wissenschaftlichem Output durch den Ausschluss oder die Bestrafung von mutmaßlichen Tätern akzeptabel? Sind die dokumentierten Konsequenzen für die berufliche Laufbahn angemessen, wobei auch ein möglicher Abschreckungseffekt für (künftige) Opfer berücksichtigt wird? Die Ergebnisse der Studie bieten eine neue Grundlage für eine Diskussion dieser wichtigen Themen.


Weitere Informationen:


Direkt zur Publikation

Allegations of Sexual Misconduct, Accused scientists, and Their Research

Max Planck Institute for innovation and Competition Research Paper No. 22-18

Stellungnahme  |  24.01.2023

Stellungnahme zum EU-Design Package

Am 28. November 2022 hat die EU-Kommission Vorschläge für eine überarbeitete Verordnung und Richtlinie über Geschmacksmuster (Design-Package) angenommen. Ziel der Vorschläge ist, die Verfahren zu straffen und zu vereinfachen, die Harmonisierung voranzutreiben und die Funktionsweise des Geschmacksmusterrechts zu verbessern. In der Stellungnahme vom 23. Januar 2023 begrüßt das Institut insgesamt die Vorschläge. Einige Punkte jedoch verdienen weitere Kommen­tierung und Klarstellung. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf Aus­füh­rungen des materiellen Rechts.

Data Sharing for Good Health & Well-Being: India's Way Forward to Achieving Sustainable Development Goal 3
Verschiedenes  |  28.10.2022

Nachhaltige Entwicklungsziele durch gemeinsame Datennutzung erreichen

“Regulation of the Data Economy in Emerging Economies” lautet der Titel eines internationalen Projekts, in dem sich Forschende des Instituts damit befassen, wie regulatorische Mecha­nismen im Bereich der Daten­wirtschaft gestaltet werden müssen, um eine nachhaltige Wirtschafts­entwicklung in Schwellen­ländern zu fördern. Der zweite Workshop dieses Projekts mit Schwer­punkt auf gesund­heitlichen Themen fand am 8. und 9. September in Bengaluru, Indien, statt.

Data Sharing for Good Health & Well-Being: India's Way Forward to Achieving Sustainable Development Goal 3
Teilnehmende des Workshops in Bengaluru, Indien

Zu dem sich schnell entwickelnden politischen Rahmen in der EU für die Regulierung der digitalen Wirtschaft hat das Institut bereits einen wichtigen Beitrag geleistet. Vor kurzem wurde eine eingehende Analyse der Bestimmungen des vorgeschlagenen Datengesetzes (Data Act) als  Stellungnahme veröffentlicht.Da die Fragen im Zusammenhang mit der digitalen Wirtschaft jedoch globaler Natur sind, befassen sich Forschende des Instituts auch mit den Entwicklungen außerhalb der EU. Vor diesem Hintergrund arbeitet ein Team unter der Leitung von Prof. Dr. Josef Drexl an einem Projekt mit dem Titel Regulation of the Data Economy in Emerging Economies. Das Projekt konzentriert sich auf die Untersuchung von Ansätzen in Schwellenländern, wie Nutzung von Daten dazu beitragen kann, eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen und wird in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern aus Brasilien, Indien und dem Senegal entwickelt. Diese Partner sind die Mackenzie University, São Paulo, die National Law School of India University, Bengaluru, die BML Munjal University, Haryana und die Université Virtuelle du Senegal, Dakar.


Um den Stand der Dinge in den einzelnen Ländern in Bezug auf die gemeinsame Nutzung von Daten im Zusammenhang mit den  Sustainable Development Goals der UN (SDGs), zu ermitteln, werden zunächst die aktuellen Initiativen privater und öffentlicher Einrichtungen, der bestehende Rechtsrahmen und die politische Debatte über die gemeinsame Nutzung von Daten untersucht. Dementsprechend wurden in jedem Land Vor-Ort-Workshops geplant, um die Forschung in den Kontext der sozioökonomischen Realität dieser Schwellenländer zu stellen. Der erste Workshop dieser Reihe trug den Titel „Workshop on Data Sharing and Sustainable Development in Emerging Economies – Senegal“ und fand am 16. und 17. März 2022 in Dakar statt. Der Schwerpunkt lag auf Landwirtschaft und finanzieller Eingliederung. Es folgte ein Workshop in Bengaluru am 8. und 9. September mit dem Titel “Data Sharing for Good Health & Well-Being: India’s Way Forward to Achieving Sustainable Development Goal 3”.


Der kürzlich abgeschlossene Workshop in Bengaluru brachte ein breites Spektrum von Interessenvertretern in Indien zusammen, von Pioniervertretern der Industrie im Gesundheitssektor (NIRAMAI Health Analytix, Saathealth, DRiefcase, Ambee), Industrieverbänden wie NASSCOM, privaten Initiativen wie Swasth Alliance und iSPIRT, öffentlichen Institutionen wie NITI Aayog, unabhängigen Forschern und Forschungseinrichtungen im Gesundheitsbereich, Mitgliedern der Zivilgesellschaft sowie Akademiker*innen aus den Bereichen Politik- und Rechtswissenschaften.


Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus dem Workshop in Bengaluru war, dass es in verschiedenen Bereichen enorme Innovationen bei der Nutzung von persönlichen und nicht-persönlichen Daten gibt, um das SDG Nr. 3 zu erreichen. Es wurde auch festgestellt, dass Indien von seiner Erfahrung beim Aufbau einer digitalen öffentlichen Infrastruktur profitiert, die auf die Entwicklung seiner Unified Payment Interface im Jahr 2016 zurückgeht. Dies unterscheidet sich von dem Ansatz im Senegal, wo das infrastrukturelle Rückgrat für den Datenaustausch noch fehlt. Während die Einführung dieser Initiativen im Gesundheitssektor in Indien ermutigend ist, scheint ein Rechtsrahmen für diese weitgehend technologische Lösung für den Datenaustausch im Gesundheitswesen zu fehlen. In diesem Zusammenhang wurde auch thematisiert, dass eine umfassenden Datenschutzregelung in Indien bisher nicht vorhanden ist.

In den kommenden Monaten werden von jedem Workshop länderspezifische Berichte erwartet. Diese wissenschaftlichen Berichte werden die Vielfalt der Ansätze in diesen Schwellenländern analysieren und in die Formulierung allgemein anwendbarer Empfehlungen einfließen. Diese Empfehlungen können dann genutzt werden, um spezifische Strategien für den Datenaustausch zu entwickeln und die Erreichung der SDGs zu unterstützen.


Der nächste Workshop findet am 15. und 16. Dezember 2022 in São Paulo an der Mackenzie-Universität statt und wird sich mit dem Thema Klimaschutz (SDG Nr. 13) befassen: Data Sharing & Climate Action in Brazil