Geographische Herkunftsangaben (Geographical Indications, GIs) sind Bezeichnungen für Produkte aus einem geographischen Gebiet, die ihre Qualität oder ihren Ruf ihrer geographischen Herkunft verdanken. In der Europäischen Union werden sie als Immaterialgüterrechte durch ein eigenständiges Rechtssystem geschützt. Da es sich zugleich um ein Instrument der Agrarpolitik zur Förderung der Produktions- und Lebensverhältnisse im ländlichen Raum handelt, gibt es zahlreiche Unterschiede zu anderen Gebieten des Immaterialgüterrechts. Besonderheiten ergeben sich auch daraus, dass die erste und häufig wichtigste Phase der Rechtserteilung vor nationalen Behörden stattfindet, wodurch nationale Traditionen und Eigenheiten die angestrebte Einheitlichkeit des Schutzes beeinträchtigen könnten.
Da es zu GIs – trotz inzwischen verstärkter Aufmerksamkeit von Politik und Ökonomie für das Thema – bislang wenig rechtswissenschaftliche Forschung gibt, hat das Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb Anfang vergangenen Jahres ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen, um das GI-System der EU und darüber hinaus umfassend zu analysieren. Am 13. und 14. Februar fand im Institut ein Workshop über GIs statt, an dem internationale Experten aus Wissenschaft und Praxis sowie Vertreter von Behörden der EU und aus einigen Mitgliedstaaten teilnahmen. Im Rahmen des Workshops konnten die Wissenschaftler des Instituts ihre bisherigen Forschungsergebnisse vorstellen und mit den Teilnehmern diskutieren.
Geographische Herkunftsangaben in der EU
Zu Beginn des Workshops erläuterte der Projektkoordinator Andrea Zappalaglio Ziele und Struktur des Projekts und präsentierte die Ergebnisse der Auswertung und empirischen Analyse der in den Spezifikationen zu den GIs zusammengefassten Schutzparameter, die in der EU-Datenbank DOOR (Database of Origin & Registration) registriert sind. In dieser von der EU-Kommission verwalteten Datenbank sind alle registrierten Agrarprodukte und Lebensmittel veröffentlicht.
Anschließend gaben Repräsentanten der EU-Kommission Einblicke in die Arbeiten und Pläne der neuen Kommission. Francis Fay, Leiter des für GIs zuständigen Referats der Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (DG Agri), und Valerie Dufour (ebenfalls DG Agri) erläuterten die aktuelle Prüfungspraxis der Kommission sowie die EU-Politik im Bereich der GIs und diskutierten mit den Teilnehmern über Herausforderungen und Optionen zur Optimierung des Systems. Marie D'Avigneau und Malwina Mejer von der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU (DG Grow) berichteten über den Stand der Arbeiten zur Schaffung eines Schutzes von GIs für nicht-landwirtschaftliche Produkte.
Am zweiten Tag des Workshops präsentierte zunächst das Max-Planck-Forschungsteam die vorläufigen Resultate einer vergleichenden Analyse der nationalen Verfahren, nach denen GI-Anträge in den Mitgliedstaaten geprüft werden. Alexander von Mühlendahl, Anwalt in der Münchner Kanzlei Bardehle Pagenberg und Gastprofessor an der Londoner Queen Mary University, und Elisa Zaera Cuadrado vom Amt der Europäischen Union für Geistiges Eigentum (EUIPO) erläuterten anschließend das Verhältnis von Marken und GIs im EU-Recht und die Prüfungspraxis des EUIPO. Pilar Montero von der Universität Alicante referierte zum Umfang des Schutzes von GIs, der sich aus dem EU-Recht und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entwickelt hat.
GIs aus internationaler Perspektive
Im zweiten Teil des Vormittags richtete sich der Fokus des Workshops auf die internationale Perspektive. Roxana Blasetti von der Universität Buenos Aires, die als Gastwissenschaftlerin am Institut tätig ist, stellte die ausgehandelte Lösung zum gegenseitigen Schutz von GIs der Vertragsparteien im Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten vor. Anschließend gaben die Max-Planck-Wissenschaftler Suelen Carls und Pedro Batista einen Überblick über das Institutsprojekt „Smart IP for Latin America“ und erläuterten die Forschungsaktivitäten bezogen auf das Teilprojekt, das den Schutz von GIs in ausgewählten lateinamerikanischen Ländern untersucht. Zuletzt sprach Alexandra Grazioli, Direktorin der Weltorganisation für Geistiges Eigentum (WIPO), über Chancen und Herausforderungen für das von der WIPO verwaltete Lissabonner Abkommen über Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben nach dem Inkrafttreten der Genfer Akte (Geneva Act) am 26. Februar 2020.
Der Workshop schloss mit einer intensiven Diskussion am Nachmittag des zweiten Tages, die von der Max-Planck-Wissenschaftlerin Annette Kur moderiert wurde. Das wertvolle Feedback der Teilnehmer gab der Forschungsgruppe des Instituts wichtige Impulse für die weitere Arbeit. Nach der empirischen Analyse der in der EU registrierten GIs wird sich das Projekt auf die Funktionsweise der in das Schutzsystem involvierten nationalen Behörden und auf die Zusammenarbeit zwischen diesen, den Antragstellern und der EU-Kommission konzentrieren. Aufbauend auf diesen empirischen Erkenntnissen ist eine Analyse ausgewählter Rechtsfragen geplant.