Noch immer sind Frauen in IT-Berufen deutlich unterrepräsentiert. Nur knapp 8 Prozent aller Auszubildenden im Bereich Fachinformatik in Deutschland sind weiblich (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2020). Die IT-Arbeitswelt gilt traditionell als Männerdomäne, obwohl z.B. Programmieren noch in den 1980er Jahren eine typische Frauen-Tätigkeit als Fleißarbeit für Bürokräfte war. Als Ausnahme galt etwa die amerikanische Informatikerin und Computerpionierin Grace Hopper, die ab Mitte der 1940er Jahre mit dem Mark I, dem ersten vollelektronischen Rechner der Welt, an der Harvard University arbeitete.
Dass Politik und Wirtschaft versuchen, Frauen vermehrt für IT-Berufe zu gewinnen, hat auch ökonomische Gründe: Wegen des Fachkräftemangels können freie IT-Stellen nicht mehr besetzt werden. (Quelle: Handelsblatt) Trotzdem haben junge Frauen in der IT-Branche nach wie vor mit Widerständen und Vorurteilen zu kämpfen.
Wir haben Cristiane Stülp nach Ihren persönlichen Erlebnissen auf ihrem Weg zur Fachinformatikerin gefragt und was sie als Vorbild jungen Frauen an Erfahrungen mitgeben würde.
Die junge Brasilianerin mit deutschen Wurzeln betont, dass zu Beginn ihres Weges ein ordentliches Maß an Risikobereitschaft nötig war, um überhaupt nach Deutschland zu gehen. Vorbildhaft war dabei ihre Familie. Gewissermaßen als weibliches Rollenmodell diente ihre ältere Schwester, die in Deutschland ein landwirtschaftliches Praktikum absolviert hatte. Cristiane Stülp hatte zunächst nur ein einjähriges Praktikum geplant – mittlerweile ist sie seit fast fünf Jahren in Deutschland.
Die Fachinformatikerin berichtet, dass ihre Familie in Brasilien einen landwirtschaftlichen Betrieb hat. Jedoch haben die Eltern nie Berufswege mit Erwartungen vorgezeichnet, sondern waren immer offen und unterstützend bezüglich der Berufswünsche ihrer Kinder. Als Erfahrung aus der Landwirtschaft hat sie ihre Durchsetzungsfähigkeit mitgenommen. Sie betont, sie habe keine Angst, als einzige Frau unter Männern zu arbeiten.
Ihr Interesse für die IT wurde auch im privaten Umfeld geweckt und gestärkt. Schon als Mädchen musste sie sich gegenüber ihren Brüdern behaupten, um ihren fairen Anteil an der begrenzten Computerzeit zu bekommen. Ihr Partner, der in der IT-Branche tätig ist, hat sie stets bestärkt, ihren Interessen in diesem Bereich nachzugehen und sich einen Ausbildungsplatz zu suchen. Hier war wieder Durchsetzungsvermögen und Hartnäckigkeit gefragt – sowohl beim Umgang mit den Ausländerbehörden sowie auf der Suche nach einem Ausbildungsbetrieb.
Bei Ihrer Berufswahl hat sie nie erlebt, dass ihr jemand von einer IT-Ausbildung abgeraten hätte – überrascht reagiert haben jedoch viele. Auch für die Kollegen war es Neuland, nicht mehr nur unter Männern zu arbeiten – Vorurteilen und Widerständen im IT-Team, das Cristiane Stülp mittlerweile augenzwinkernd „meine Männer“ nennt, ist sie aber nie begegnet. Vielmehr hat sie große Wertschätzung, Unterstützung und Förderung erfahren. Die Arbeit im gemischten Team hat sich bewährt. Die IT würde gerne mehr weibliche Auszubildende einstellen, es mangelt jedoch an Bewerberinnen. In der letzten Bewerbungsrunde lang ihr Anteil weit unter 5 Prozent. Bei internen Aufgaben sucht Cristiane Stülp gerne auch Verantwortung, zum Beispiel für jüngere Auszubildende. Sie sieht als ihr speziell „weibliche“ Qualität an, dass sie organisatorisches Verbesserungspotenzial identifiziert und damit in der Gemeinschaft des Teams zu Lösungen mit größerer Nachhaltigkeit beiträgt.
Obwohl Frauen in männerdominierten Berufen tendenziell höhere Ausstiegsraten haben (Quelle: Accenture, 2020), will Cristiane auch nach ihrer Ausbildung in der IT tätig sein. Sie interessiert sich dabei besonders für die Systemadministration. Gerne arbeitet sie nach ihrer Ausbildung noch am Institut weiter.
Die Ausbildungs- und Prüfungszeit während der Corona-Pandemie brachte große zusätzliche Herausforderungen und auch persönliche Verluste mit sich – Cristiane Stülp hat all dies mit großer mentaler Stärke und Reife bewältigt. Sie betont auch, dass es auffallend war, dass ihr im Umfeld der Berufsschule sehr wenige jugendliche weibliche IT-Auszubildende, sondern eher selbständige erwachsene Frauen begegnet sind.
Nach ihrer erfolgreichen Ausbildung freut sie sich zuallererst auf das Wiedersehen mit der Familie in Brasilien, sobald dies wieder möglich ist. Am Ende des Gesprächs setzt sie ein wunderbares Schlusswort: „Ich, als Frau hier am Institut, bin einfach glücklich.“ Sie würde jederzeit wieder den gleichen Weg einschlagen.
(Das Interview wurde geführt von Myriam Rion, Hella Schuster und Ulrike Garlet.)