Weltweit steigt die Zahl der Patentanmeldungen kontinuierlich an. Die Patentämter stehen vor großen Herausforderungen und stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen. Cornelia Rudloff-Schäffer, die Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA), stellte beim Abschlussvortrag des Patentrechtszyklus' 2013 am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München Wege aus der Krise vor. Dabei präsentierte sie verschiedene bilaterale Kooperationen zur Nutzung von Arbeitsergebnissen (Worksharing) und gab einen Einblick in die Bemühungen zur internationalen Harmonisierung des materiellen Patentrechts.
"Weltweit ist seit 1995 eine Verdoppelung der Patentanträge zu beobachten. Allein 2011 wurden über 2,14 Millionen Anträge gestellt, davon gut 80 Prozent bei den fünf größten Patentämtern der Welt, den so genannten "IP 5", in den USA, China, Japan, Südkorea und der Europäischen Union", skizzierte Rudloff-Schäffer einführend die aktuelle Situation. Das DPMA ist das fünftgrößte nationale Patentamt und das sechstgrößte Patentamt weltweit. Gemessen an der Patentintensität (= Anzahl der Patentanmeldungen in Relation zur Ländergröße) liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf dem 4. Platz. Auch bei transnationalen Patentanmeldungen zählt Deutschland nach Japan und den USA zu den weltweit führenden Nationen.
Jährliche Zuwachsraten bei Patentanmeldungen von bis zu 24,3 Prozent, so etwa in China zwischen 2009 und 2010, ließen keine Entspannung erwarten. Insbesondere die Volksrepublik China werde die Zahl der Patentanmeldungen im Rahmen der nationalen Strategie steigern, referierte die Präsidentin des DPMA: Wurden im Jahr 2012 627.000 Patentanmeldungen am chinesischen Patentamt SIPO eingereicht, so soll gemäß der "National Patent Development Strategy" diese Zahl bis 2015 auf zwei Millionen erhöht werden. Im gleichen Zeitraum ist auch eine Verdoppelung der Patentanmeldungen von Chinesen im Ausland, bis 2020 sogar eine Vervierfachung angestrebt. Damit einher geht in der Volksrepublik die Überzeugung, dass das Patentsystem eine integrale Rolle für die weitere wirtschaftliche Entwicklung spielt.
Der Anstieg der Patentanmeldungen bedeutet einen enormen Zuwachs an Prüfstoff und Rechercheaufwand. Die Patentdokumente müssen erschlossen und in die Datenbanken integriert werden. Während die Anzahl der Patentdokumente in der amtseigenen Datenbank DEPATIS zwischen 2002 und 2007 um 10 Millionen gestiegen ist, kamen im Zeitraum zwischen 2007 und 2012 weitere 18 Millionen Patentdokumente dazu. Um diese rasant steigende Menge an Prüfstoff zu bewältigen, sind ausreichende technische wie personelle Ressourcen nötig. Derzeit liegt der Fokus darauf, asiatische Patentinformationen nach Möglichkeit samt englischer abstracts in DEPATIS zu integrieren. Über ein Übersetzungstool werden außerdem Suchanfragen in die Originalsprache übersetzt und die Begriffe können dann in den Originaldatenbanken online recherchiert werden. Die Patentprüferinnen und -prüfer werden kontinuierlich über neue Sachstände und Recherchemöglichkeiten informiert und entsprechend geschult. Das DPMA plant, durch weitere Einstellungen die Anzahl der Prüfer so weit wie möglich zu erhöhen.
Im Zentrum der international diskutierten Bemühungen der Patentämter, der Patentflut Herr zu werden, stehen allerdings Überlegungen und bilaterale Kooperationen zum Worksharing bis hin zur Nutzung oder Anerkennung von Arbeitsergebnissen anderer Patentämter weltweit. Ein Modell für ein Worksharing ist der Patent Prosecution Highway (PPH). Dessen Ziel ist die beschleunigte Bearbeitung von Patentanmeldungen; Patentprüfungsverfahren sollen effizienter und nutzerfreundlicher werden. Anmelder - meist "Global Player" - melden ihre Erfindungen oft in unterschiedlichen Ämtern parallel an und mehrere Patentämter prüfen den gleichen Anmeldegegenstand. Anmelder können nun nach Vorliegen eines ersten Prüfungsergebnisses beim Amt der späteren Prüfung einen PPH-Antrag stellen (Mottainai-Modell). Da bei der Folgeprüfung auf bereits vorliegende Prüfungsergebnisse zurückgegriffen werden kann oder diese in einigen Ämtern (nicht im DPMA) sogar direkt anerkannt werden, führt der PPH-Antrag zu einer Beschleunigung des Verfahrens (beim DPMA dauert es nach einem PPH-Antrag derzeit knapp sechs Monate bis zum Erstbescheid). Mit zwei neuen Pilotprojekten zum Umstieg von bilateralen PPH-Verfahren auf ein plurilaterales System sowie der Nutzung von PCT-Ergebnissen der IP5-Ämter (USA, China, Japan, Südkorea, EU) ab 2014 wird eine Weiterentwicklung des Netzwerks in Angriff genommen.
Ein weiteres wechselseitiges Worksharing-Projekt hat die seit dem Jahr 2008 bestehende Vancouver-Gruppe der Patentämter Australiens, Kanadas und Großbritanniens entwickelt. Benannt nach dem Ort des ersten Treffens, verfolgt auch diese Gruppe die effektive gegenseitige Nutzung von Arbeitsergebnissen sowie den Informations- und Erfahrungsaustausch. Eine Besonderheit: Gemeinsam mit der World Intellectual Property Organisation (WIPO) wurde das Online-Akteneinsichtssystem WIPO CASE errichtet. Dieses "office driven project" steht seit März 2013 allen Patentämtern zur Teilnahme zur Verfügung, die Nutzung der Arbeitsergebnisse geschieht automatisch, ohne Antrag des Anmelders.
Ebenfalls eine Form der bilateralen Kooperation ist das Utilisation Implementation Project (UIP), ein einseitiges Worksharing-Projekt. Hier nutzt das Europäische Patentamt (EPA) als Nachmeldeamt die Arbeitsergebnisse der Erstanmeldeämter, etwa Zitierungen, Recherchen, Bescheide und Klassifikationsdaten. Die Pilotphase fand in den Jahren 2007 und 2008 statt; seit März 2012 startete das UIP mit den Patentämtern in Großbritannien, Österreich und Dänemark. Die Schweiz, Spanien und Tschechien sollen bald dazu stoßen. Im Fall von Anmeldern aus Belgien, Italien, Frankreich, den Niederlanden und Luxemburg führt das EPA die erforderlichen Recherchen ohnehin selbst durch. Pro Jahr werden etwa 7500 Anfragen an die nationalen Patentämter initiiert.
Daneben existieren unterschiedliche technische Plattformen zum Worksharing, etwa das Global Dossier als IT-Infrastruktur zum Online-Zugriff auf Patentdokumente und Bescheide sowie zur Online-Akteneinsicht durch die IP5-Ämter, PROSUR als südamerikanisches Projekt einer dezentralen Patentprüfung, die möglichst zeitgleich zu inhaltlich identischen Patenten in den beteiligten Ländern führt sowie das Common Citation Document (CCD) der IP5, bei dem Rechercheergebnisse mehrerer Ämter in einem einzigen, gemeinsamen Dokument zusammengeführt werden.
Einen radikaleren Lösungsansatz, das Patentdickicht zu lichten, verfolgte bereits 1909 der Berliner Rechtsanwalt Du Bois-Reymond mit seiner Vision eines Weltpatents. Er schrieb: "(...) Heute prüfen zehn Staaten (...). Wer nun ein Patent in diesen Staaten anmeldet, wird folgender Erscheinung gegenübergestellt: Während sich auf allen Seiten und nicht am wenigsten in Deutschland Klagen über die stetig wachsende Überlastung der Patentämter hören lassen, sitzen in diesen zehn Ämtern zehn ernste Männer und quälen sich gleichzeitig damit ab, dieselbe Arbeit zu machen. (...) Die Unterschiede in der sachlichen Behandlung des Prüfungsproblems sind heute schon viel kleiner, als man gewöhnlich geneigt ist, anzunehmen (...). Die einfachste Konsequenz ist das Weltpatent. Wer ein Patent erwirbt, erhält dadurch in allen Industrieländern Schutz für seine Erfindung und hat fortan nur noch mit den technischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, die sich der Entwicklung seiner Idee entgegenstellen." Dies, so Rudloff-Schäffer in ihrem Vortrag, sei allerdings auch über 100 Jahre später nicht in Sicht. Möglich sei allerdings, den Weg der Harmonisierung bei der Klassifikation sowie den materiell-rechtlichen Bestimmungen weiter zu gehen. So haben die Patentämter der IP5 mit der Einführung der Cooperative Patent Classification (CPC) seit 2013 begonnen, ein einheitliches Klassizifizierungssystem fortzuentwickeln. Im Bereich der materiellen Patentrechtsharmonisierung stocken hingegen die Harmonisierungsversuche innerhalb der WIPO, trotz langjähriger Diskussionen. Informelle Diskussionen in der so genannten B+-Gruppe (Mitglieder: EU, EPO, Australien, Kanada, Japan, Südkorea, Neuseeland, USA) bieten ein Forum zum Austausch von Informationen und praktischen Verbesserungsvorschlägen, referierte die Präsidentin des DPMA. Aktuell arbeite diese Gruppe nun unter anderem auch an der Schaffung eines elektronischen Zugangs zu den Arbeitsergebnissen teilnehmender Ämter.
Ein weiterer informeller Kreis, der sich mit Optionen zur materiellen Patentrechtsharmonisierung befasst, ist die im Juni 2011 erstmals zusammen gekommene "Tegernsee-Gruppe": Hier arbeiten die Leiter der Ämter und Ministerialbeamte aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Dänemark, Japan, den USA und dem EPA zusammen. Eine von ihnen eingesetzte Expertengruppe hat Studien zur Neuheitsschonfrist, der obligatorischen Offenlegung nach 18 Monaten, dem Umgang mit kollidierenden Anmeldungen und zu Vorbenutzungsrechten erstellt. Zur Ermittlung des Harmonisierungsbedarfs und der relevanten Schwerpunkte wurden Nutzerbefragungen und Anhörungen in Form von "User Roundtables" in den beteiligten Ländern durchgeführt. Dabei ergab die deutsche Nutzerbefragung, dass eine Mehrheit für die Beibehaltung der derzeit geltenden Regelungen ist, eine internationale Harmonisierung aber für wichtig erachtet wird. Auffällig ist nach Ansicht von Rudloff-Schäffer allerdings, dass überwiegend Industrieunternehmen, Patentfachleute und Kanzleien sowie Verbände und Organisationen wie die GRUR und der BDI, nicht aber in gleichem Maße mittelständische Unternehmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen, Einzelerfinder und Kleinanmelder sowie die Technologiebereiche Telekommunikation und Computer an der Umfrage teilnahmen. Zusammengeführt wurden die Ergebnisse der Umfrage beim letzten Tegernsee Heads Meeting Ende September 2013. Dabei zeigte sich die Tendenz, berichtete die DPMA-Chefin, dass die Nutzer in den meisten Ländern die Offenlegung aller Patentanmeldungen nach 18 Monaten befürworten und sich eine international harmonisierte Neuheitsschonfrist wünschen. Bei kollidierenden Anmeldungen und Vorbenutzungsrechten liegen die Positionen hingegen weiter auseinander. Eine Analyse der Ergebnisse soll beim nächsten Treffen im Frühjahr 2014 vorgestellt werden.
Zur Referentin:
Cornelia Rudloff-Schäffer ist Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamts in München. Zwischen 1984 und 1991 arbeitete sie am damaligen Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht und am Institut für gewerblichen Rechtsschutz der Ludwig-Maximilians-Universität. Im Anschluss wechselte sie in das Bundesministerium der Justiz und war dort unter anderem für die Vorbereitung nationaler Gesetzgebung und für europäische und internationale Vorhaben im Bereich des Patent-, Gebrauchsmuster-, Marken- und Geschmacksmusterrechts zuständig. Nach einem Exkurs zwischen 1996 und 1998 als Referatsleiterin für Rechtsfragen der neuen Technologien in den Naturwissenschaften und der Bioethik wechselte sie als Referatsleiterin ins Marken- und Wettbewerbsrecht. Ab dem Jahr 2001 übernahm Cornelia Rudloff-Schäffer im DPMA zunächst die Leitung der Rechtsabteilung, dann der Hauptabteilung 3 (Marken und Muster). Sie ist Mitglied im Kuratorium des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb.
Weitere Informationen zum DPMA finden Sie hier »