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Dissertation
Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht

Meca-Medina-Test des EuGH – Berücksichtigung sportspezifischer außerwettbewerblicher Faktoren im europäischen Kartellrecht

Im Rahmen der Anwendung des Kartellrechts auf den Sport stellt sich die Frage, inwieweit außerwettbewerbliche sportspezifische Belange als Rechtfertigungsgründe für Beschränkungen zu berücksichtigen sind. Hierfür hat der EuGH grundsätzliche Leitlinien aufgestellt; die Details dieser Herangehensweise werden in der vorliegenden Arbeit erforscht.

Dass außerwettbewerbliche sportliche Faktoren innerhalb des europäischen Kartellrechts zu berücksichtigen sind, ist im Grundsatz inzwischen weitgehend anerkannt. Diese Berücksichtigung erfolgt innerhalb sportlicher Sachverhalte anhand von Kriterien, die der EuGH 2006 in seiner Entscheidung Kommission/Meca-Medina und Majcen aufgestellt hat (Meca-Medina-Test). Seither wurde dieses Vorgehen schon vielfach von EU-Kommission, Wettbewerbsbehörden sowie Gerichten angewandt. Dennoch bestehen weiterhin große Unsicherheiten und Lücken bezüglich der Details der Anwendung des Meca-Medina-Tests und der Berücksichtigung sportlicher Besonderheiten im Kartellrecht. Auch nach den jüngsten Entscheidungen des EuGH im Dezember 2023 zu dieser Thematik (die aber nicht mehr Betrachtungsgegenstand der vorliegenden Arbeit sind) dürften die Kontroversen weitergehen.

Ziel dieser Arbeit ist es deshalb, den Meca-Medina-Test auf allen Ebenen genau zu untersuchen und so eine dogmatisch detaillierte und in die Tiefen des Sports eindringende Darstellung desselben zu liefern. Hierfür werden zunächst die gesamte sportbezogene und an die Berücksichtigung sportlicher Belange anknüpfende Rechtsprechung des EuGH, EuG und deutscher Gerichte sowie die Fallpraxis der EU-Kommission und des Bundeskartellamts analysiert. Zum Verständnis werden zudem Grundlagen des Sports und des europäischen Kartellrechts in Bezug auf den Sport dargestellt.

Im eigentlichen Hauptteil der Arbeit wird dann der Meca-Medina-Test selbst untersucht: Zunächst wird eine ausführliche dogmatische Einordnung des Tests vorgenommen. Demnach übernimmt der Meca-Medina-Test für den Spezialfall des Sports den Rechtsgedanken der Schrankensystematik der Cassis de Dijon-Doktrin. Das ergibt sich insbesondere aus der systematischen Fundierung des Meca-Medina-Tests und der partiellen Konvergenz zwischen dem Ansatz zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten und von Wettbewerbsbeschränkungen. Technisch ist im Meca-Medina-Test eine besondere Form der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu sehen.

Auch weitere grundsätzliche Fragen wie die Anwendbarkeit, das genaue Prüfungsschema sowie grundlegende prozessuale Fragen werden umfassend beleuchtet: Die Arbeit kommt zu dem Ergebnis, dass der Test auf alle sportlichen Regeln anwendbar ist, also für alle, die mittelbar oder unmittelbar sportlichen Zwecken dienen. Für den Meca-Medina-Test ergibt sich ein dreistufiger Aufbau bestehend aus einer legitimen Zielstellung als Ausgangspunkt der Prüfung, der kohärenten und inhärenten Zielverfolgung sowie der Verhältnismäßigkeit der beschränkenden Maßnahme.

Anschließend analysiert die Arbeit die einzelnen Stufen im Detail, wobei besonders ausführlich auf die abstrakte und konkrete Herleitung legitimer Zielstellungen sowie auf die auf jeder Stufe und in jedem Unterschritt genau anzuwendenden Prüfungs- und Kontrollmaßstäbe eingegangen wird. Auf Basis der dogmatischen Einordnung des Tests erfolgt auf seiner ersten Stufe die Herleitung legitimer Ziele aus den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses in Form der Besonderheiten des Sports und seiner sozialen Dimension, festgelegt durch die Rechtsprechung des EuGH und deskriptiv ausgefüllt durch Art. 165 AEUV. Diese Einordnung ermöglicht die konsistente Behandlung der Belange des Sports über das gesamte Unionsrecht hinweg. Daraus ergeben sich eine Vielzahl an legitimen Zielstellungen, welche grundsätzlich geeignet sind, eine Wettbewerbsbeschränkung zu rechtfertigen. Auf der zweiten Stufe wird dann zum einen der kohärente Zusammenhang zwischen der Zielstellung und dem sonstigen Regelungsverhalten betrachtet. Zum anderen wird geprüft, inwieweit die Beschränkung gewissermaßen in der Natur der legitimen Zielstellung liegt und somit ein enger Zusammenhang zwischen den beiden besteht. Diese Prüfungsstufe dient der Kontrolle der Plausibilität der Zielverfolgung durch die beschränkende Maßnahme. Liegt dieser grundlegende Zusammenhang vor, ist auf der dritten Stufe die Qualität dieses Zusammenhangs zu untersuchen, ob also eine mildere gleich effektive Maßnahme zur Zielerreichung in Sicht ist (relative Unverhältnismäßigkeit) oder ob der Vergleich der Vor- und Nachteile der Regelung ergibt, dass die Wettbewerbsbeschränkung zu schwerwiegend ist (absolute Unverhältnismäßigkeit).

Nach dieser Detaildarstellung werden Übertragungsmöglichkeiten des Meca-Medina-Tests innerhalb des Kartellrechts und außerhalb auf andere Rechtsbereiche, in denen sich der Sport bewegt, betrachtet und Modifikationen, die gegebenenfalls vorgenommen werden sollten, diskutiert. Dabei wird festgestellt, dass der Meca-Medina-Test über die Verwendung in Art. 101 Abs. 1 AEUV hinaus auf Art. 102 sowie 106 AEUV übertragen werden kann. Parallel dazu kann der Meca-Medina-Test auch im deutschen Kartellrecht (§§ 1 f. und 18 f. GWB) weitgehend wertungsgleich zum Einsatz kommen. Blickt man über das Kartellrecht hinaus, fügt sich der Meca-Medina-Test in ein größeres System an weitgehend parallel laufenden Prüfungsschemata zur rechtfertigenden Berücksichtigung sportlicher Besonderheiten und Faktoren ein. So können solche Faktoren beispielsweise in der Beihilfenkontrolle im Rahmen des Art. 107 Abs. 3 AEUV weitgehend wertungssynchron zum Meca-Medina-Test behandelt werden.

Im Ergebnis wird aufgezeigt, dass die differenzierte Verwendung des Meca-Medina-Tests zu einer strengen Beurteilung von wettbewerbsbeschränkenden Regelungen führt, wobei die Wahrscheinlichkeit einer Rechtfertigung mit der Schwere des Eingriffs sinkt. Aufgrund der strengen, mehrstufigen Prüfung anhand der Meca-Medina-Kriterien kann auch Bedenken einer zu weiten Rechtfertigungsmöglichkeit anhand wettbewerbsfremder Gründe und einem Wirkungsverlust des Kartellrechts begegnet werden. Im Gegenteil ist das Vorgehen in Form des Meca-Medina-Tests letztlich zwingend und zeugt von dem Ausgleich verschiedener Zielsetzungen sowie der Komplexität und Vielschichtigkeit der Abwägung gegeneinander laufender Interessen. Diese Abwägung hat auch im Wettbewerbsrecht auf Basis von nicht wettbewerblichen Faktoren – wenn auch nur im eng umrissenen Umfang legitimer Zielstellungen und auf Basis eines restriktiven und differenzierten Vorgehens – stattzufinden. Für diese Zielstellung eignet sich der Meca-Medina-Test in der vorgestellten Form für den Bereich des Sports hervorragend.

Publikation

Mürtz, Tassilo, Meca-Medina-Test des EuGH – Berücksichtigung sportspezifischer außerwettbewerblicher Faktoren im europäischen Kartellrecht (Schriften zum Sportrecht, 63), Nomos, Baden-Baden 2023, 489 Seiten, doi.org/10.5771/9783748937555

Persons

Doctoral Student

Tassilo Mürtz

Doctoral Supervisor

Prof. Dr. Peter W. Heermann, LL.M. (Universität Bayreuth)

Main Areas of Research

I.5 Methodenfragen