Die Idee, die Macht digitaler Giganten einzuschränken, ist nicht neu. Regeln, die den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung oder unlautere Geschäftspraktiken ahnden, gibt es bereits. Was soll sich ändern?
Der Digital Markets Act, kurz DMA gibt einen EU-weit einheitlichen Rechtsrahmen für digitale Märkte vor, um proaktiv Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern und bestimmte Geschäftspraktiken zu unterbinden. Ziel ist es auch, die Rechtsanwendung zu erleichtern und das Verfahren zu beschleunigen.
Wieso sind die bisherigen Regeln nicht ausreichend?
Bislang haben wir vor allem im Kartellrecht nur ex-post-Regeln: diese greifen erst, nachdem ein Verstoß vorliegt oder vermutet wird. Das hat zur Folge, dass es sehr lange dauert, bis es zu einer Sanktionierung des Verhaltens kommt. Zum Teil liegen die in Streit stehenden Handlungen bis zu zehn Jahre zurück und die Verfahren sind immer noch nicht abgeschlossen. Das Kartellrecht ist also im Ergebnis zu langsam, da es reaktiv greift.
Was soll sich ändern?
Die Grundidee des DMA als neue Verordnung ist die Regulierung vorab. Der DMA soll besonders großen Plattformdiensten Verhaltenspflichten auferlegen. Hierfür enthält er über ein Dutzend Ge- und Verbote, die mal mehr mal weniger konkret formuliert sind und von vornherein durch diese Dienste zu beachten sind. Andernfalls drohen empfindliche Sanktionen – so kann die Kommission den Plattformdiensten bei Verstößen Strafen in Höhe von bis zu 20 Prozent ihres weltweiten Jahresumsatzes auferlegen.
Zu den neuen Regeln kommen wir gleich. Aber erstmal: Für wen gilt die Verordnung?
Laut der ersten Pressemitteilung des Europäischen Rats soll ein Plattformdienst als „Gatekeeper“ gelten, wenn das Unternehmen, zu dem der Dienst gehört, mehr als 7,5 Milliarden Euro Jahresumsatz in der EU erwirtschaftet oder einen Marktwert von über 75 Milliarden Euro aufweist. Außerdem muss der Dienst über 45 Millionen Endnutzer pro Monat sowie 10.000 gewerbliche Nutzer in der EU pro Jahr zählen – und zwar in den vergangenen drei Jahren.
Dazu kommt, dass die Plattform einen oder mehrere zentrale Plattformdienste in mindestens drei EU-Mitgliedsstaaten anbieten muss. Zu solchen Diensten zählen etwa soziale Netzwerke, Suchmaschinen, Browser, Messenger-Dienste und virtuelle Assistenten. Nicht darunter fallen aber vernetzte TV-Geräte.
Welche Pflichten haben künftig Gatekeeper?
Besonders relevant im Pflichtenkatalog sind Verbote: etwa die Registrierung für einen Dienst an die Registrierung eines anderen zu koppeln oder gewerblichen Nutzern zu untersagen, ihre Produkte und Leistungen auf Plattformen Dritter zu anderen Preisen und Bedingungen anzubieten. Außerdem müssten Betriebssysteme wie Googles Android oder Apples iOS zulassen, dass auf Smartphones andere App-Stores als ihre eigenen installiert werden. Die Praktiken der Selbstbevorzugung werden explizit verboten, indem etwa eigene Dienste dem Verbraucher bevorzugt angeboten werden und dadurch der Markt für kleinere oder neue Wettbewerber verschlossen wird. Ebenso wird es künftig nicht mehr erlaubt sein, Daten für gewisse Zwecke zusammenzuführen und zu nutzen, wie es etwa Facebook vorgeworfen wird.
Besonders relevant für Verbraucher ist auch die neue Pflicht zur Interoperabilität. So müssen als Gatekeeper eingestufte Messaging-Dienste ihren Nutzern ermöglichen, zwischen verschiedenen Plattformen (z.B. Whatsapp und Threema) Nachrichten auszutauschen und Videoanrufe zu tätigen.
Klingt nach Lex Google, Lex Apple, Lex Facebook…
In der Tat stecken hinter vielen der einzelnen Pflichten Fälle, in denen die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden gegen diese Unternehmen vorgegangen sind. Einzelfallgesetze darf es nicht geben, aber es ist natürlich möglich, für eine Markttätigkeit in der EU abstrakte Kriterien zu definieren, um möglichst viele problematische Verhaltensweisen zu verhindern.
Sicherlich wird es am Anfang vor allem die US-amerikanischen Tech-Giganten mit ihren Services treffen: Apples und Googles Appstore, neben Googles Suchmaschine auch Microsofts Bing, Facebook und Whatsapp oder Amazon Marketplace. Auch der für B2B bedeutsame Bereich des Cloud-Computings etwa von Amazon, der den größten Anteil am Konzerngewinn ausmacht, wird betroffen sein. Unklar ist allerdings noch, inwiefern europäische Plattformdienste wie Booking oder Zalando unter die Regeln fallen werden.
Schafft die Verordnung, die digitalen Märkte offener und fairer zu machen?
Entscheidend ist, wie die Regeln der Verordnung konkret angewendet und durchgesetzt werden. So wird sich in Zukunft zeigen, ob das festgeschriebene Verfahren gut funktioniert – dazu gehört insbesondere auch der zwischen Kommission und Gatekeepern vorgesehene Dialog über die Regulierungsmaßnahmen. Eine andere offene Frage ist, ob die vorgesehene Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden und der EU-Kommission effektiv abläuft. Mit Spannung abzuwarten bleibt auch, welche Rolle nationale Gerichte bei der Durchsetzung der Regeln des DMA letztlich spielen werden.
Der EU-Kommission soll eine bedeutsame Rolle zufallen. Welche?
Die EU-Kommission solle eine ganz zentrale Rolle bekommen – das war in den Mitgliedstaaten durchaus umstritten. Der DMA erlaubt es der Kommission, verschiedenste Maßnahmen gegenüber den Gatekeepern anzuordnen. Das können verhaltensbezogene Maßnahmen sein, dass also ein Unternehmen etwas Bestimmtes nicht mehr tun darf oder aber etwas tun muss, bis hin zu strukturellen Maßnahmen wie etwa die Abspaltung ganzer Geschäftsbereiche. Gleichzeitig soll sie über die Einhaltung der Anordnungen wachen. Das alles erfordert, dass die EU-Kommission zahlreiche zusätzliche Stellen mit spezifischer Fachkompetenz schafft. So übernimmt sie eine völlig neue Rolle als Regulierungsbehörde, und man darf gespannt sein, ob es ihr letztlich gelingt, den großen Tech-Unternehmen auf Augenhöhe Paroli zu bieten.
Wenn nun alles nach Plan läuft und das Europäische Parlament und der Rat offiziell zustimmen, tritt die neue Verordnung 2023 in Kraft. Lassen sich denn alle Neuerungen unmittelbar umsetzen?
Das wird sich zeigen. Problematisch ist, dass viele technischen Fragen, die rechtlich relevant sind, nicht gelöst, sondern nur verschoben werden. Das Fine-Tuning erfolgt über sogenannte delegierte Rechtsakte, die von der Kommission erst noch erlassen werden müssen. In der Praxis zeigt sich, dass das Jahre dauern kann. Ein Beispiel: Bislang war die Deutsche Bahn nicht verpflichtet, Echtzeit-Angaben ihrer Züge anderen Verkehrsinformationsdiensten wie etwa Google Maps zur Verfügung zu stellen. Die entsprechende EU-Richtlinie, die das regelt, ist zwar seit 2010 in Kraft, die rechtlichen Details kamen 2017 in einem delegierten Rechtsakt der Kommission. Erst 2021 erhielten die Regelungen Eingang in das deutsche Personenbeförderungsgesetz, nach wie vor ist unklar, inwiefern die Deutsche Bahn Echtzeit-Angaben zur Verfügung stellen muss.
Was braucht es noch?
Die Effektivität der Durchsetzung durch die öffentliche Hand, also hier durch die EU-Kommission, hängt immer auch von der politischen Stoßrichtung ab. Und da können sich die Prioritäten schnell ändern. Die derzeitige Kommission mit Margrethe Verstager als Digitalkommissarin hat den DMA ganz oben auf der Liste, daher gibt es die Regeln überraschend schnell. Es garantiert aber nicht, dass es im Falle einer neuen Kommission mit neuer Agenda mit entsprechender Verve weitergeht.
Das Interview führte Michaela Hutterer
Persönliche Webseite von Heiko Richter